«Schweizer Personalvorsorge» 10/21: Mitbestimmungsrecht der Arbeitnehmer beim Wechsel der Vorsorgeeinrichtung (VE)

«Le Temps» hat eine umfassende Vernehmlassung organisiert

Aufgrund eines Aktionärswechsels musste Le Temps SA eine neue Vorsorgeeinrichtung wählen. Die Mitarbeiter wurden bereits in der Anfangsphase des Prozesses umfassend einbezogen und stimmten der gewählten Lösung anlässlich der Personalversammlung zu.

Die Rechte der Arbeitnehmer bei einem  Wechsel der Vorsorgelösung,  geschehe der nun freiwillig oder nicht, sind seit Mai 2020 vollständig geklärt. Damals hat nämlich das Bundesgericht entschieden, dass Arbeitnehmer nicht nur über die Absichten ihres Arbeitgebers informiert werden müssen, sondern auch ein echtes Mitbestimmungsrecht bei einem Wechsel der Vorsorgelösung haben. 

In der Praxis ist die überwiegende Mehrheit der Arbeitnehmer im Rahmen der  2.  Säule in der firmeneigenen Vorsorgeeinrichtung ihres Arbeitgebers oder über eine vom Unternehmen gewählte Sammel- oder Gemeinschaftseinrichtung versichert. Es kommt  daher selten vor, dass eine Gruppe von Arbeitnehmern die verschiedenen möglichen Vorsorgelösungen eingehend erörtern und diejenige wählen kann, die ihrer Ansicht nach ihre Interessen am besten wahrt.

Genau das geschah jedoch bei der Tageszeitung Le Temps, genauer gesagt bei Le Temps SA, die am 1. Januar 2021 vom Ringier-Konzern Axel Springer Suisse SA zur Stiftung Aventinus überging, einer gemeinnützigen Stiftung mit Sitz in Genf, deren Stiftungszweck die «Unterstützung und Förderung der Existenz einer autonomen, diversifizierten und qualitativ hochwertigen Presse und Medien» ist. Dieser Aktionärswechsel veranlasste das Unternehmen, eine neue Vorsorgelösung für die rund hundert Beschäftigten von Le Temps zu suchen, die bisher der Vorsorgeeinrichtung von Ringier angeschlossen waren.

Ein vom Arbeitgeber ausgewählter Versicherungsmakler wurde beauftragt, und eine Arbeitsgruppe, die sich aus Unternehmens- und Arbeitnehmervertretern zusammensetzte, befasste sich über mehrere Monate mit der Angelegenheit.

Vorläufiger Verbleib in der VE von Ringier

«Die Diskussion über die künftige Vorsorgelösung begann während den Verhandlungen über die Übernahme von Le Temps», sagt Nicole Pomezny, Personalleiterin bei Le Temps und eine der Arbeitgebervertreterinnen in der Arbeitsgruppe, die zusammen mit den Arbeitnehmervertretern gebildet wurde, um eine VE auszuwählen. «Die Vorsorgeeinrichtung von Ringier hat einer sechsmonatigen Frist vor der Auflösung des Anschlussverhältnisses mit den Angestellten von Le Temps zugestimmt, damit wir die Angestellten konsultieren konnten. Eine erste Videokonferenz, die allen offen stand, wurde im Januar veranstaltet. Die Mitarbeiter von Heidi Media SA - der Gesellschaft, die die Website heidi.news betreibt, die ebenfalls von Aventinus gekauft wurde, woraus dank der Zusammenlegung von Management und Chefredakteuren Synergien mit Le Temps entstehen  sollen - sind vorerst nicht betroffen: «Sie bleiben vorerst in ihrer derzeitigen Sammeleinrichtung und alle Möglichkeiten für einen Wechsel in der Zukunft bleiben offen.»

Die Mitarbeitenden von Le Temps «haben davon profitiert, dass es in ihrer Redaktion mehrere Journalisten gibt, die sich mit Vorsorgefragen auskennen», sagt Bernard Wuthrich, Leiter des Berner Büros der Tageszeitung und einer der Personalvertreter, die von der SRP (Gesellschaft der Redaktoren und Mitarbeiter) in die Ad-hoc-Arbeitsgruppe berufen wurden. Die Gruppe setze sich aus «sechs Personalvertretern und vier Arbeitgebervertretern» zusammen, fügt der Journalist hinzu, da die Arbeitnehmer und die Unternehmensleitung den gemeinsamen Wunsch nach einer möglichst diversifizierten Vertretung der Arbeitnehmerschaft geäußert hatten. Dies war dank einer gleichen Anzahl von männlichen und weiblichen Delegierten unterschiedlichen Alters der Fall, die mehrere Berufe vertreten und in Voll- oder Teilzeit arbeiten.

«Angesichts der bereits angekündigten Senkung des Umwandlungssatzes in der Ringier-Vorsorgeeinrichtung - von 4.9% im Jahr 2020 auf 4.3% im Jahr 2026 - wollte die Personaldelegation so schnell wie möglich die Vorsorgeeinrichtung wechseln. Wir haben auch einigen unserer Kollegen, die eine Frühpensionierung in Erwägung gezogen und uns konsultiert hatten geraten, ihre Entscheidung zu verschieben.  Die Arbeitnehmerdelegation nahm auch Kontakt zu verschiedenen KMU von vergleichbarer Grösse wie Le Temps SA auf, um deren Vorsorgelösungen zu besprechen.»

Wahl einer Sammeleinrichtung

Nach einer Präsentation der Vorteile der Vorsorgeeinrichtung von Ringier und der möglichen Optionen für die Zukunft - autonome Vorsorgeeinrichtung, Vorsorgelösung einer Versicherungsgesellschaft oder Sammeleinrichtung, Einführung eines 1e-Vorsorgeplans für bestimmte Personalkategorien oder nicht - und der Klarstellung der Ziele des Arbeitgebers – «Kontinuität, Aufrechterhaltung der Leistungen, langfristige Vision, Transparenz» - sowie derjenigen der Arbeitnehmer – «Aufrechterhaltung oder gar Verbesserung der bestehenden Rentenleistungen» - wurde relativ schnell beschlossen, keine autonome Vorsorgeeinrichtung zu schaffen.

Bernard Wuthrich erklärt weiter: «Da die Beiträge an die Vorsorgeeinrichtung von Ringier unterschiedlich hoch sind, je nachdem, ob ein Arbeitnehmer vor oder nach 2015 eingetreten ist, wollten der Arbeitgeber und die Arbeitnehmer, dass die künftigen Beiträge im Durchschnitt auf dem Niveau der bisherigen Beiträge bleiben.»

Während einer zweiten Arbeitssitzung im Februar schlug der Makler - dessen «Bemühen, diese komplexe Materie verständlich zu machen, von allen geschätzt wurde», wie Nicole Pomezny betonte - eine Auswahl von 10 Vorsorgeeinrichtungen vor.

Die Arbeitsgruppe beschloss, auf einen 1e-Plan zu verzichten, einen effektiven Wechsel der Vorsorgeeinrichtung auf den 1. Juli anzustreben und Angebote von fünf Sammeleinrichtungen einzuholen.

 «In Anbetracht der Altersstruktur der Mitarbeiter von Le Temps, von denen 11 zwischen 2022 und 2024 das Rentenalter erreichen, hat eine der angesprochenen Institutionen nicht auf die Ausschreibung reagiert», erklärt Bernard Wuthrich, «und eine andere hat ein Angebot abgegeben, aber einen Vorbehalt hinsichtlich der möglichen Einstiegskosten aufgrund der Altersstruktur der zu übernehmenden Mitarbeiter geäussert.» Letztendlich wurden daher drei Angebote von der Arbeitsgruppe im März ernsthaft geprüft.

«Sie hat nicht dasjenige mit dem besten Umwandlungssatz von 6.4% ausgewählt, sondern dasjenige, das uns sowohl sehr gute Leistungen als auch eine gute finanzielle Stabilität zu bieten schien», erklärt der Arbeitnehmervertreter. Nicole Pomezny fügt hinzu, dass der Arbeitgeber auch «auf die Werte der gewählten Vorsorgeeinrichtung, die Qualität ihrer Kommunikation, ihre Verfügbarkeit sowie die Zugänglichkeit von Informationen und Online-Diensten für Arbeitgeber und Arbeitnehmer geachtet hat.»

Die Arbeitnehmervertreter und die SRP organisierten daraufhin eine für alle Arbeitnehmer offene Vollversammlung, bei der ein Vertreter des Maklers anwesend war, um alle Fragen der rund 60 Teilnehmer zu beantworten. Die von der Arbeitsgruppe vorgeschlagene Lösung wurde von den anwesenden Mitgliedern einstimmig angenommen.

Diese Lösung ist wesentlich vorteilhafter als diejenige, die den Beschäftigten von Le Temps bisher zur Verfügung stand, und sei es nur, weil «der Umwandlungssatz im Jahr 2022 von 4.75% auf 6.3% steigen wird», wie Bernard Wuthrich betont.

Nicole Pomezny erklärt, dass «der Basisplan keinen Koordinationsabzug vorsieht und der Arbeitgeber einen höheren Prozentsatz beiträgt als der Arbeitnehmer. Im Zwischenplan hat der Arbeitnehmer die Möglichkeit, seine Beiträge zu erhöhen, und im dritten vorgeschlagenen Plan kann der Arbeitnehmer sogar noch mehr beitragen, und die Beiträge von Arbeitgeber und Arbeitnehmer sind dann gleich hoch.»

Die 119 Personen, die einen Arbeitsvertrag mit Le Temps haben, z. B. der Geschäftsführer, der in seiner Funktion auch Mitglied des Verwaltungsrats ist, wurden am 1. Juli 2021 in die neue Vorsorgeeinrichtung überführt.

Verbesserung der beruflichen Vorsorge

Da im Basisplan, der keinen Koordinationsabzug vorsieht, der Arbeitgeber 59.5% und der Arbeitnehmer 40.5% der Beiträge zahlt, sind die Beiträge an die 2. Säule für einige Arbeitnehmer seit dem 1. Juli gestiegen. Im Gegenzug hat sich jedoch ihre Altersvorsorge deutlich verbessert.

Bei jüngeren Arbeitnehmern nimmt das Vorsorgekapital rascher zu, da die Arbeitgeber- und die Arbeitnehmernehmerbeiträge an die 2. Säule vom gesamten AHV-Lohn abgezogen werden. Ältere Arbeitnehmer werden von einer besseren Altersvorsorge profitieren, wenn sie eine Verrentung dem Kapital vorziehen. Zudem können Teilzeitbeschäftigte eine solide 2. Säule aufbauen. Und schliesslich kommen Gutverdienende in den Genuss hoher Steuerabzüge, insbesondere wenn sie sich für den teuersten Vorsorgeplan entscheiden.

Nicole Pomezny weist darauf hin, dass der Makler «jedem Mitarbeiter von Le Temps rechtzeitig ein Schreiben zukommen liess, in dem er die drei angebotenen Rentenpläne mit ihren Beiträgen und voraussichtlichen Leistungen vorstellte, damit jeder eine fundierte Wahl treffen konnte. Dies war der perfekte Abschluss eines langen Prozesses, bei dem die Arbeitnehmer an der wichtigen Entscheidung über ihre berufliche Vorsorge von Anfang an beteiligt waren.

 

Mehr zum Thema:

In der Ausgabe von Oktober 2021 befasst sich die «Schweizer Personalvorsorge» mit dem Thema Mitsprache und Interessen der Arbeitnehmenden.