«Schweizer Personalvorsorge» 12/21: Dashboards

Alle Renten in einer App?

Verschiedene Länder Europas entwickeln digitale Vorsorge-Dashboards, die den Bürgerinnen und Bürgern einen Überblick über die Höhe ihrer Rente verschaffen sollen. Die Projekte sind sehr unterschiedlich weit verwirklicht, die EU-Kommission hat eine Konsultation angeregt. Der Effort könnte auch den Versicherten in der Schweiz dienen.

In der Vorsorge gibt es eine Herausforderung, die sich unabhängig von der Nationalität vielen Versicherten stellt. Die meisten Menschen unterschätzen systematisch ihren Finanzbedarf im Alter und überschätzen die Werthaltigkeit ihrer Ersparnisse. Lösungen liegen zum einen in verpflichtenden Sparprozessen in der ersten und zweiten Säule. Zum anderen erweisen sich verständliche, übersichtliche  Informationen zum Status quo und Projektionen als hilfreich. Gerade dieser Überblick fehlt aber oft, da Vorsorgesysteme in den meisten Industrieländern in drei Säulen organisiert sind, die zunächst einmal nicht miteinander verknüpft sind. Hier sollen künftig digitale Dashboards helfen, die auch für die Schweiz interessant sein könnten.

EU-Kommission wünscht Übersicht

Grundidee von digitalen Renteninformationen ist es, säulenübergreifend alle relevanten Informationen zu sammeln und verständlich darzustellen – idealerweise kombiniert mit Projektionsmöglichkeiten. Durch diese konsolidierte Betrachtungsweise sollten Bürgerinnen und Bürger ihre Vorsorgesituation realistisch einschätzen können. Technisch ist in diesem Bereich heute vieles möglich, einige EU-Länder haben auch schon Versuche in dieser Hinsicht unternommen.

Allerdings sollte im Idealfall das Rad nicht mehrfach erfunden werden. Da die Länder aufgrund der Komplexität des Unterfangens möglichst von gemachten Erfahrungen profitieren sollen, hat die EU-Kommission im Herbst 2020 die europäische Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die berufliche Vorsorge (EIOPA) um Rat gebeten, wie nationale, digitale Pensionsübersichten bestmöglich umzusetzen sein. Diese Anfrage bildete die Grundlage für die im Juli 2021 von der EIOPA gestartete Konsultation zu nationalen digitalen Rentenübersichten in den EU-Mitgliedsstaaten.

Fachliche Grundlage für den Konsultationsprozess ist ein Konzept, das die EIOPA hat unter Mitarbeit einer Expertengruppe, die auch einen Vertreter der PK Stadt Zürich umfasst, erstellt hat. Dieses Konzept fasst Erfahrungen aus verschiedenen europäischen Ländern zusammen, die schon erste Ansätze von digitalen Dashboards umgesetzt haben. Auf dieser Basis werden darin ferner Empfehlungen für die Weiterentwicklung formuliert. Das Konzept wirft aber auch konkrete Fragen für den Konsultationsprozess auf, zu denen Stellung genommen werden konnte.

Die aufgeworfenen Fragestellungen für den Konsultationsprozess lassen sich wie folgt gruppieren und geben einen guten Eindruck zu den Herausforderungen die für ein funktionierendes, digitales Vorsorge-Dashboard zu bewältigen sind:

  • Umfang des Systems
    Welche Informationen werden berücksichtigt? In allen Ländern gibt es ein 3-Säulen-System der Vorsorge. Informationen aus der 2. Säule und insbesondere aus privaten Sparprozessen der 3. Säule sind mitunter nur schwer zu beschaffen. Vollständigkeit muss aber ein Grundanspruch für ein solches Unterfangen sein.
  • Darstellung und Aufbereitung der Information
    Hierbei sind verhaltenswissenschaftliche Erkenntnisse zu berücksichtigen, damit aus Informationen die richtigen Schlüsse gezogen werden.
  • Technische Anforderungen
    Damit eine solche digitale Plattform funktionieren kann, braucht es einheitliche Datenformate über alle drei Säulen hinweg. Ein umfassendes Dashboard kann grundsätzlich auf zwei Wegen erzeugt werden: als digitale Plattform, die in Echtzeit auf Systeme von Teilnehmern (Banken, PK-Verwaltern usw.) zugreift oder als eigenständige Datenbankstruktur, in der übergreifend alle relevanten Informationen gespeichert werden.
  • Governance
    Von besonderer Bedeutung ist die Frage, wer ein solches System aufbaut und wer es finanziert – staatliche oder private Akteure? Welche Kontrollen braucht es, um einen Missbrauch der Daten zu verhindern und einen reibungslosen Betrieb zu gewährleisten? Welche gesetzliche Flankierung braucht es, damit überhaupt so ein System aufgebaut werden kann?

 

Zersplitterte Vermögenswerte

Als Beispiele für bereits existierende Dashboard-Ansätze werden in dem Konsultationspapier Schweden und Grossbritannien dargestellt, für gute Projektionsansätze die Niederlande und die Slowakei. Während fast alle Länder in Europa eine digitale Informationsmöglichkeit über zu erwartende Leistungen aus der 1. Säule haben, bestehen vor allem in den nordeuropäischen Ländern, Belgien und den Niederlanden bereits Ansätze, die 2. Säule zu integrieren. Eine Reihe von Ländern, darunter auch Österreich, Deutschland, Frankreich und Grossbritannien planen eine Umsetzung für die 2. und 3. Säule.

Der Blick nach Deutschland ist aber auch aus einem anderen Grund besonders interessant und kann durchaus Denkanstösse für konzeptionelle Weiterentwicklungen in der Schweiz geben. Die Ansprüche aus der 2. Säule sind in Deutschland oft zersplittert – sofern sie überhaupt existieren, da die berufliche Vorsorge nicht obligatorisch ist. Bei einem Arbeitgeberwechsel verbleiben arbeitgeberfinanzierte Ansprüche aus der beruflichen Vorsorge grundsätzlich beim ehemaligen Arbeitgeber und werden dort bis zum Versorgungsfall weitergeführt. Dies ist für die jeweiligen Arbeitgeber vorteilhaft, da sie ein hohes Mass an Planungssicherheit haben, wann ein Anspruch zu einer Auszahlung führen wird. Cash-Flow-Prognosen sind für die Versorgungsträger zuverlässige Steuerungsinstrumente.

Aus Arbeitnehmersicht ist das Bild derzeit weniger positiv, da im Laufe einer beruflichen Karriere eine Reihe von mehr oder weniger grossen Vorsorgeansprüchen in der 2. Säule erworben werden und der Überblick fehlt. Um ein Gesamtbild zur Vorsorgesituation zu erzeugen, soll nun in den nächsten Jahren eine digitale Rentenübersicht erzeugt werden, die insbesondere alle Ansprüche der 2. Säule zusammenfasst. Im übertragenen Sinne entsteht so eine digitale Pensionskasse, in der die Versicherten unterschiedliche Anlagen, also ihre Versorgungsansprüche bei ehemaligen Arbeitgebern, bis zur Fälligkeit (i.e. Renteneintrittsalter) halten. Da Arbeitgebern in Deutschland neben der Pensionskasse vier weitere Wege zur Verfügung stehen, um berufliche Vorsorge zu gewähren, ist das Ende auf dem Weg zur digitalen Rentenübersicht für die 2. Säule in Deutschland allerdings noch nicht absehbar.

Eine virtuelle Pensionskasse für die Schweiz?

Solche Plattformen könnten aber nicht nur zur Informationskonsolidierung verwendet werden. Es wäre denkbar, sie zu einer App-basierten virtuellen Pensionskasse (PK) weiterzuentwickeln, die in etwa so aussehen würde: Sie wäre die persönliche Schnittstelle des Versicherten zu allen akkumulierten Vorsorgeleistungen. Die PK würden bei einem allfälligen Stellenwechsel das bestehende Guthaben nicht transferieren, sondern den Status des Versicherten auf passiv stellen, sodass keine Einzahlungen mehr erwartet werden. Dieses Vorgehen kennen wir schon von den AHV Ausgleichskassen. Das Kapitalkonto wächst jedoch weiter und die darauf basierenden reglementarischen Versicherungsansprüche bleiben bestehen. Die Vorsorgeeinrichtung des neuen Arbeitgebers eröffnet ein neues Konto mit Stand Null. Analoges gilt im Falle einer Teilliquidation für ganze Kollektive. Der Leistungsfall würde über die App ausgelöst und an die Vorsorgeeinrichtungen kommuniziert, bei denen der Versicherte Guthaben hat. Auch der Sanierungsfall einer Vorsorgeeinrichtung könnte analog zu einer Kapitalerhöhung relativ einfach abgebildet werden: Die Kürzung des Kapitalkontos («Verwässerung») könnte durch Einzahlung eines proportionalen Sanierungsbeitrags vermieden werden.

In einem derart ausgestalteten System könnte der Administrationsaufwand für Mutationen stark reduziert werden. Oft nachrichtenlose Freizügigkeitskonten würden ebenfalls hinfällig, auf denen aktuell (Stand 2020) immerhin rund 57 Mrd. Franken in über 2.4 Millionen Konti mit minimalen Renditen liegen.

Natürlich sind diese Vorteile nicht gratis zu haben. Die zentrale Vorsorge-App müsste aufgebaut und betrieben werden, und die Vorsorgeeinrichtungen müssten ihr die Daten ihrer Versicherten mittels Schnittstellen anliefern. Selbstverständlich ist eine derartige Umgestaltung des Vorsorgesystems im Rahmen des geltenden Rechtes nicht möglich. Wir denken aber optimistisch in eine Zukunft voraus, in der die aktuell herrschende Reformblockade des Systems Berufliche Vorsorge überwunden sein wird.

Teilliquidation versus Rente - ein Zielkonflikt

Im kleinen Einmaleins der Anlagetheorie lernen wir das «anlagepolitische Trilemma» kennen. Das Zieldreieck Rendite - Risiko - Liquidität bedeutet, dass wir jedes einzelne dieser drei Ziele nur auf Kosten der jeweils anderen beiden Ziele optimieren können. Maximierung der Rendite erfordert höheres Verlustrisiko, und höhere Liquidität kostet Rendite.

Wieso ist der Anlagehorizont verkürzt?

Grundsätzlich würde die Altersvorsorge einen sehr langfristigen Zeithorizont der Anlagen von im Schnitt ca. 20 Jahren zulassen. Die Liquidität der Vermögensanlagen müsste theoretisch erst gegen das Ende des Erwerbslebens erhöht werden, um Renten auszahlen zu können. So könnten Vermögensanlagen getätigt werden, die sonst kaum ein Marktteilnehmer schultern kann, wodurch eine Illiquiditätsprämie zu verdienen ist.

In der Schweizer Praxis wird dieser lange theoretische Anlagehorizont jedoch drastisch verkürzt durch die systemweite Anforderung der Teilliquidation: Jede Vorsorgeeinrichtung muss «angemessene Liquidität» (BVV2) vorhalten, um im hypothetischen Fall einer Teilliquidation dem austretenden Kollektiv die reglementarischen Barmittel jederzeit mitgeben zu können. Wie häufig solche Teilliquidationen in der Praxis vorkommen, ist statistisch nicht explizit dokumentiert. Die Pensionskassenstatistik des BFS spricht für 2019 von rund 46.6 Mrd. Franken Freizügigkeitsleistungen. Diese beinhalten aber neben kollektiven Übertritten in Folge Teilliquidation auch Freizügigkeit in Folge Stellenwechsel. Trotz des relativ geringen Anteils von weniger als 5% des Anlagevolumens muss die Liquidität des ganzen Systems darauf kalibriert werden. Das erscheint uns unverhältnismässig.

Es sind also nicht die oft beschuldigten Rechnungslegungsvorschriften für den verkürzten Anlagehorizont verantwortlich. Denn der relevante Standard Swiss GAAP FER 26 sagt nichts über die angemessene Höhe des Deckungsgrads aus. Auch die vermeintlich günstigeren Vermögensverwaltungskosten in den liquiden Märkten müssen relativiert werden, wenn man beobachtet, wie der Wertschöpfungsanteil der (weniger liquiden) privaten Märkte stetig wächst, indem immer mehr junge Firmen einen Börsengang immer länger hinauszögern. Die börsenkotierten Firmen der Welt haben in den letzten 20 Jahren per Saldo weniger Kapital aufgenommen als sie an ihre Aktionäre zurückgegeben haben. Dadurch haben die Börsen ihre wichtigste volkswirtschaftliche Aufgabe bereits verloren.

Mehr zum Thema

In der Ausgabe von Dezember 2021 befasst sich die «Schweizer Personalvorsorge» mit dem Thema «Teilliquidation/Rückstellungen».