Stabile Situation, ungelöste Probleme
Per Ende 2019 wiesen Pensionskassen ohne Staatsgarantie einen durchschnittlichen Deckungsgrad von 111.6 Prozent aus. Praktisch keine Kasse befand sich in Unterdeckung. Eine Momentaufnahme per Ende April 2020 zeigt ein anderes Bild: Eine entsprechende Schätzung der OAK BV zeigt noch einen Deckungsgrad von 105.6 Prozent, ein Viertel der Pensionskassen (kapitalgewichtet) befindet sich in einer Unterdeckung.
Anlässlich der Jahresmedienkonferenz der OAK BV unterstrich deren Präsidentin Vera Kupper Staub, dass die aktuelle Entwicklung für die 2. Säule eine grosse Herausforderung darstellt. Doch «die meisten Vorsorgeeinrichtungen werden aufgrund der guten Deckungssituation vor der Krise mittelfristig in der Lage sein, deren negative Auswirkungen auf die finanzielle Stabilität zu tragen», so Kupper Staub – zumindest wenn sich die Krise nicht noch deutlich verschärft.
Zinsversprechen und Sammeleinrichtungen sorgen für Bedenken…
Der OAK-Präsidentin geben neben der Krise vor allem drei Dinge Anlass zur Sorge: Erstens ist das politische Problem des zu hohen Umwandlungssatzes immer noch ungelöst. Pensionskassen senken zwar, sofern ihre Umhüllung dies zulässt, vorzu ihre Umwandlungssätze, doch hinken sie dabei immer der Zinsentwicklung hinterher. Dies illustriert ein Vergleich der Situation vor der aktuellen Krise mit derjenigen vor der Finanzkrise: 2007 lag der technische Zins im Schnitt noch bei 4 Prozent, heute bei 1.9 Prozent. Dennoch ist das Risiko aus dem Zinsversprechen grösser als damals: Die Rendite einer 10-jährigen Bundesobligation ist in derselben Zeit von 3.1 auf -0.6 Prozent gesunken, womit die Differenz zwischen dem Zinsversprechen und dem risikolosen Zins deutlich zunahm.
Der zweite Punkt betrifft die Sammel- und Gemeinschaftseinrichtungen: Aufgrund ihrer zunehmenden Bedeutung, ihrer teilweise komplexen Strukturen sowie des Drucks des Markts, Attraktivität höher zu gewichten als Stabilität, sind sie schon länger auf dem Radar der OAK BV. Die Anlageverluste sowie die aktuellen Probleme vieler KMU, also der Kunden der Sammeleinrichtungen, verschärfen die Situation. Die schon länger angekündigten Weisungen zu Sammeleinrichtungen lassen indes noch etwas auf sich warten: Die OAK BV will ihre Ausarbeitung nun «im vierten Quartal 2020 zu einem Abschluss bringen».
… und die Zeitbombe Freizügigkeitsstiftungen tickt immer lauter
Der dritte Punkt sind die Freizügigkeitsstiftungen: Diese sehen sich «mit einem existenziellen Problem» konfrontiert, da bei Kontolösungen Negativzinsen unzulässig sind. Das Problem zeigt sich exemplarisch an der Auffangeinrichtung: Ursprünglich quasi als Auffangnetz in Sachen Freizügigkeit konzipiert, verwaltet sie unterdessen mit 14.2 Mrd. Franken und 1.2 Millionen Konti über einen Viertel der gesamten Schweizer Freizügigkeitsguthaben sowie über die Hälfte der Konti.
Lösen lässt sich die unhaltbare Situation gemäss Manfred Hüsler, Direktor des Sekretariats der OAK BV, eigentlich nur über zwei Massnahmen, die notabene ausserhalb des Wirkungsbereichs der OAK BV liegen: Entweder müssen die Freizügigkeitsstiftungen von der Negativzins-Doktrin der Schweizerischen Nationalbank (SNB) ausgenommen werden, oder es muss ihnen vom Gesetzgeber erlaubt werden, Negativzinsen an die Kontoinhaber weiterzugeben.
Wohin geht die Reise?
Nicht nur für den Bundesrat, auch für die OAK BV ist 2020 eine neue Amtsperiode angebrochen. Für die Amtsperiode 2020 bis 2023 hat sich die OAK BV folgende strategischen Ziele gesetzt:
- Durchsetzung einer einheitlichen und risikoorientierten Aufsicht im System der beruflichen Vorsorge,
- Sicherstellung einer transparenten und glaubwürdigen Governance aller Akteure in der 2. Säule,
- Stärkung der Kompetenz aller an der Durchführung der beruflichen Vorsorge beteiligten Personen und Institutionen.
Es bleibt der OAK BV zu wünschen, dass sie sich in den nächsten Monaten und Jahren effektiv auch diesen strategischen Zielen widmen kann und nicht von einer sich verschärfenden Krise vor sich hergetrieben wird.
Die Maiausgabe der «Schweizer Personalvorsorge» widmet sich dem Akzentthema Aufsicht. Unter anderem lesen Sie darin einen Artikel von Manfred Hüsler sowie ein Interview mit Vera Kupper Staub und Roger Tischhauser, Leiter der Zürcher BVG- und Stiftungsaufsicht sowie Präsident der Konferenz der kantonalen BVG- und Stiftungsaufsichtsbehörden.