«Schweizer Personalvorsorge» 2/21: Vorsorgebedürfnisse von Frauen und Jungen

Neue Arbeitsformen, der Pension Gap und 7 Milliarden

Welche spezifischen Bedürfnisse von Frauen sowie von jungen Menschen sollen in der BVG-Reform adressiert werden? Salomè Vogt (Avenir Jeunesse) und Eliane Albisser (PK Netz) sind sich bezüglich «Frauenfallen» in der Vorsorge relativ einig. In der Frage, ob hinsichtlich Umverteilung von jung zu alt die Solidarität überstrapaziert wird, gehen ihre Meinungen auseinander.

Eliane Albisser (PK-Netz)

«In der 2. Säule besteht ein Gender Pension Gap von 63%. Diese immense Differenz ist ein Beweis für die nicht vorhandene Gleichstellung zwischen den Geschlechtern. Die Rentensituation der Frauen ist besonders prekär, weil sich die 2. Säule an einer typischen männlichen Erwerbsbiografie orientiert.»

Salomè Vogt (Avenir Jeunesse)

«Ein Transfer von 7 Milliarden pro Jahr von den Jungen zu den Alten ist einfach zu viel, es bedeutet 1700 Franken Sparkapital pro Jahr für die Jungen, was schliesslich tiefere Renten bedeutet. Das Problem wird immer auf die nächste Generation geschoben, es ist ein Schneeballsystem.»

Interview: Kaspar Hohler

Gibt es «die» Frauenanliegen, die in der 2. Säule adressiert werden können und sollen?

Salomè Vogt: Frauen arbeiten öfters Teilzeit, auch für mehrere Arbeitgeber. Neue Arbeitsformen nützen daher eher Frauen. Entsprechend sollte man die Vorsorge anpassen. Frauen werden von der Senkung des Koordinationsabzugs eher profitieren, und das ist richtig so. Wenn ich eine Tochter hätte, würde ich ihr dies mit auf den Weg geben: Eine gute Vorsorge führt über eine gute Ausbildung, einen guten Job mit einem relativ hohen Lohn. Man muss sich von Anfang an überlegen, wie man seine Berufsbiografie definiert. Wenn man als Frau 100% zuhause sein möchte, kann eine Heirat zur Absicherung beitragen. Solche Sachen muss man sich, insbesondere als Frau, gut überlegen.

Die Vorsorge als Spiegelbild des Lebens- und Arbeitswegs. Gibt es «die» Frauenanliegen, Frau Albisser?

Eliane Albisser: Rund um den Frauenstreik wurde bereits viel Sensibilisierungsarbeit geleistet. In der 1. Säule gibt es systembedingt praktisch keine Unterschiede zwischen den Renten von Männern und Frauen. In der 2. Säule besteht hingegen ein Gender Pension Gap von 63%. Diese immense Differenz ist ein Beweis für die nicht vorhandene Gleichstellung zwischen den Geschlechtern. Die Rentensituation der Frauen ist besonders prekär, weil sich die 2. Säule an einer typischen männlichen Erwerbsbiografie orientiert. Die unterschiedlichen Erwerbsbiografien von Männern und Frauen widerspiegeln sich sodann in der Rentenhöhe. Die im grossen Umfang von Frauen geleistete Betreuungsarbeit wirkt etwa nicht rentenbildend. Das Resultat sind grosse Vorsorgelücken.

Und wie lässt sich dies angehen?

Albisser: Die Halbierung des Koordinationsabzugs, wie sie im aktuellen Reformvorschlag vorgesehen ist, geht in die richtige Richtung. Aber selbstverständlich ist die Modernisierung der 2. Säule in dieser Hinsicht nur ein Aspekt, es braucht ganz viele weitere gleichstellungspolitische Fortschritte. Für mich ist wichtig, dass wir den Fokus nicht nur darauf legen, dass Frauen in grösserem Umfang am Arbeitsmarkt teilnehmen und dort auch nach oben kommen. Denn: Irgendjemand wird auch weiterhin Reinigungsarbeit machen, wird die Kinder betreuen. Das heisst, es braucht auch eine Umverteilung von Care- und Lohnarbeit und eine bessere Entlöhnung sogenannter Frauenberufe, um den Gender Pension Gap zu minimieren.

Vogt: Bei der Analyse des Status Quo sind wir uns einig. Wir sehen das Spiegelbild einer Zeit, in der sehr traditionell gelebt wurde. Frauen, die jetzt in Rente sind, waren meist verheiratet, hatten Kinder, sind dann aus dem Arbeitsleben ausgetreten. Wenn sie Pech hatten, kam die Scheidung mit 50 und sie konnten nicht mehr ins Erwerbsleben einsteigen, einen guten Beruf annehmen, Geld verdienen.

Albisser: Es hat niemand mehr auf sie gewartet.

Vogt: Genau. Es gibt in der Vorsorge Frauenfallen. Man muss sich dem einfach bewusst sein. Ich kenne Frauen, die sich, bevor sie überhaupt studieren, überlegen, welches Studium nachher zu einem Job führt, der kompatibel ist mit einer Teilzeitarbeit. Das kann es ja nicht sein. Wir haben wirklich gesellschaftliche Probleme in der Schweiz, insbesondere mit der Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Ich bin aber zuversichtlich: Wenn wir in 40 Jahren nochmals eine Ist-Analyse machen, wird diese anders ausfallen als jetzt.

Ähnlich pauschal wie die Frauenanliegen werden gerne auch die Anliegen «der Jungen» in die Reform-Diskussion eingebracht. Was sind die Interessen «der Jungen»?

Albisser: Ich bin nicht bereit, einen Generationenkonflikt heraufzubeschwören. Niemand weiss, wie alt wir einmal werden, auch wir als junge Personen nicht. Es kann gut sein, dass wir auch einmal sehr alt werden, älter, als unser Umwandlungssatz es dannzumal berechnet hat. Ohne die kollektive Absicherung müssten wir für diese Möglichkeit selber vorsorgen, selber sparen. Es ist im Übrigen nicht so, dass es in der beruflichen Vorsorge stets eine Umverteilung von Jung zu Alt gibt. Es gab Zeiten, als es über grosszügige Verzinsungen eine Umverteilung in die andere Richtung gab, nur hat man das vielleicht etwas vergessen. Entsprechend sehe ich es als richtig an, dass die Jungen für die Kompensation der Umwandlungssatzsenkung mitzahlen. Die vorgesehene Beitragserhöhung auf dem AHV-pflichtigen Jahreseinkommen macht Sinn und ist in einem für alle verkraftbaren Umfang. 

Vogt: Ich will auch nicht den Generationenvertrag in Frage stellen, nicht jung gegen alt ausspielen. Es braucht eine gewisse Solidarität in dem ganzen Konstrukt, doch wird diese momentan überstrapaziert. Ein Transfer von 7 Milliarden pro Jahr von den Jungen zu den Alten ist einfach zu viel, es bedeutet 1700 Franken Sparkapital pro Jahr für die Jungen, was schliesslich tiefere Renten bedeutet. Das Problem wird immer auf die nächste Generation geschoben, es ist ein Schneeballsystem, das geht einfach nicht auf. An dem Punkt, an dem wir jetzt sind, ist es unsolidarisch. Es braucht eine gewisse Solidarität der älteren Generation, vielleicht auch einmal etwas Abstriche zu machen.

Wie sorgen Sie selber vor?

Vogt: Ich habe bereits im Studium geprüft, dass ich die jährlichen Mindestbeiträge in die AHV einbezahlt habe – falls man Lücken nicht innerhalb von fünf Jahren nachbezahlt, drohen irreversible Kürzungen der Rente. Generell habe ich viel in meine Ausbildung investiert und arbeite aktuell Vollzeit. Ich habe eine 3. Säule, ein Sparkonto und ein wenig Aktien.

Albisser: Ich habe viel Zeit und Geld in meine Ausbildungen investiert. Nach meiner Tätigkeit als Primarlehrerin habe ich Jura und Soziologie studiert. Da ich in dieser Zeit selber für meinen Lebensunterhalt aufkam, konnte ich nichts auf die Seite legen und auch kaum Vorsorgekapital äufnen. Meine Vorsorgelücke ist folglich entsprechend gross. Da ich eine gute Ausbildung habe, bin ich dennoch sehr privilegiert und habe auch seit wenigen Jahren ein Säule3a Konto. Daraus erwächst im Alter zwar keine Rente, aber ich kann trotzdem etwas Geld zur Seite legen, was ich als nicht selbstverständlich ansehe.

 

 

In der «Schweizer Personalvorsorge» 2/21 lesen Sie ein Interview mit den beiden Frauen, in dem die Frage vertieft wird, wie viel Solidarität und wie viel Eigenverantwortung in der beruflichen Vorsorge angezeigt ist.