«Schweizer Personalvorsorge» 06/22: ALM (Passivseite)

Auswirkungen der Inflation

Die Inflation stellt Vorsorgeeinrichtungen vor neue Herausforderungen, die in der Vergangenheit eher im Hintergrund standen. Während die Inflation auf der Passivseite die Risiken eher reduziert, sollen auf der Aktivseite Anlagen ausgewählt werden, die einen geeigneten Inflationsschutz bieten.

Datum des Artikels: 1.6.2022

Nach Jahren niedriger Inflation hat diese nun in vielen Ländern ein hohes Niveau erreicht. Für das Jahr 2022 wird die Inflation in den USA voraussichtlich bei etwa 7%, in der Eurozone zwischen 6% und 7% sowie in der Schweiz bei rund 2% liegen. Auch wenn die Inflation ab 2023 voraussichtlich sinken wird, wird sie wahrscheinlich noch lange auf einem höheren Niveau als jenes der letzten Jahre verharren. Diese Verhältnisse sind primär auf die bisherige expansive Geldpolitik der wichtigsten Zentralbanken sowie auf einen Nachfrageüberhang und Kostensteigerungen in vielen Wirtschaftssektoren zurückzuführen, die sich spezifisch durch das aktuelle gesundheitliche, geopolitische und fiskalpolitische Umfeld erklären lassen.

Was bedeutet diese Situation im ALM-Kontext für Vorsorgeeinrichtungen? Erstens: Die Inflation in der Schweiz ist relevant, da die meisten Destinatäre (der Vorsorgeeinrichtungen) im Inland ansässig sind und die Leistungen in Schweizer Franken ausgerichtet werden. Zweitens: Der Hauptzweck einer ALM-Studie besteht darin, die Abstimmung der geltenden Anlagestrategie auf die Verpflichtungen und Cashflows (einer Vorsorgeeinrichtung) zu überprüfen und gegebenenfalls die Anlagestrategie anzupassen. Da Vorsorgeeinrichtungen in der Regel über einen langen Anlagehorizont verfügen, wird bei ALM-Studien üblicherweise ein Zeitraum von zehn Jahren zugrunde gelegt. Entsprechend ist die Inflationsentwicklung für diesen Zehnjahreszeitraum einzuschätzen. Diese Aufgabe ist jedoch schwierig: Mit zehnjährigen inflationsgeschützten Anleihen könnten die Markterwartungen an die Inflation der nächsten zehn Jahre gemessen werden. Leider werden keine derartigen Anleihen in Schweizer Franken emittiert.

Druck für Teuerungsanpassungen steigt

Parallel zum Preisniveau sind auch die Zinsen gestiegen. Dadurch reduziert sich aus ökonomischer Sicht der Wert der Rentenverpflichtungen der Vorsorgeeinrichtungen. Im Gegenzug erhöht sich aber auch der Druck, Teuerungszulagen an die Rentner auszurichten. In der Vergangenheit wurde bei der Festlegung der technischen Zins- und Umwandlungssätze in der Regel der nominelle Zins betrachtet und eine zukünftige Entwertung durch Inflation bereits eingerechnet. Gemäss Art. 36 BVG werden die Altersrenten nicht automatisch, sondern nur entsprechend den finanziellen Möglichkeiten der Vorsorgeeinrichtung der Teuerung angepasst. In den letzten zwanzig Jahren blieb die Inflation jedoch deutlich unter den Erwartungen. Rentner, die mit vergleichsweise hohen Umwandlungssätzen pensioniert wurden, profitier(t)en also nicht nur von der Annahme einer kürzeren Lebenserwartung, sondern auch von der tiefen Inflation.

Die gestiegene Inflation vermindere nun den realen Wert der Altersrenten und helfe so, die Umverteilung in der 2. Säule abzuschwächen oder gar zu beenden. Deshalb sei eine Anpassung der Leistungen an die Teuerung (noch) nicht angezeigt, so der Tenor. Doch das wäre zu kurz gegriffen. In den letzten Jahren wurden bei vielen Vorsorgeeinrichtungen die technischen Zins- und Umwandlungssätze schrittweise gesenkt. Da die Inflation lange faktisch ausblieb, wurde diese in den neuen Umwandlungssätzen weiterhin kaum berücksichtigt. Rentner, die mit vergleichsweise tiefen Umwandlungssätzen in Rente gingen oder gehen, würden ohne Teuerungszulagen benachteiligt.

Dies führt dazu, dass sich aktuell viele Vorsorgeeinrichtungen Gedanken zur gerechten Verteilung von allfälligen freien Mitteln machen. Mit umfassenden Beteiligungsmodellen, die neben den aktiven Versicherten auch die Rentner berücksichtigen und den unterschiedlichen Rentner-Generationen Rechnung tragen, können Mittel sachgerecht verteilt werden.

Realzins-Betrachtung

Mit den steigenden Zinsen stellt sich die Frage, ob und wann der technische Zinssatz wieder erhöht und damit das Vorsorgekapital reduziert werden sollte. Die weitere Entwicklung der Zinsen ist kaum vorherzusehen und der technische Zinssatz sollte normalerweise über eine längere Zeit konstant gehalten werden. Daher ist bei Erhöhungen des technischen Zinssatzes Vorsicht geboten.

Zudem lohnt sich vor einer allfälligen Erhöhung des technischen Zinssatzes eine Betrachtung des Realzinssatzes, nämlich das Zinsniveau nach Abzug der (erwarteten) Inflationsrate. Berücksichtigt man, dass zwar das Zinsniveau um knapp 1 Prozentpunkt, die Teuerung aber um rund 2.5 Prozentpunkte gestiegen ist, so hat sich der Realzinssatz sogar deutlich reduziert. Obwohl eine vollständige Anpassung der Renten an die Teuerung mit Blick auf Art. 36 BVG nicht realistisch erscheint, ist eine gewisse Berücksichtigung/Abfederung der zukünftigen Inflation angebracht. Dabei ist darauf hinzuweisen, dass die Verwendung einer Realzins-Betrachtung den Druck auf künftige Teuerungsausgleiche erhöhen wird.

Eine naheliegende Herangehensweise wäre, den technischen Zinssatz unverändert zu lassen, solange die Realzinsen nicht erheblich steigen. Ist absehbar, dass Zinsen nachhaltig gestiegen sind und die effektiven Teuerungszulagen an die Rentner tiefer ausfallen als die Erhöhung des Zinsniveaus, so könnte eine moderate Erhöhung des technischen Zinssatzes u. E. vertretbar sein.

Auswirkungen auf die Anlagestrategie

Die obigen Überlegungen deuten darauf hin, dass die Inflation mittelfristig einen höheren Renditebedarf (Sollrendite) erzeugen dürfte, was die Vorsorgeeinrichtungen dazu veranlassen wird, Anlagestrategien mit einer höheren erwarteten nominellen Rendite festzulegen. Dies bedeutet, dass die Kassen allenfalls auch höhere Anlagerisiken eingehen müssen. Diese Herausforderung dürfte mittelfristig durch den Rückgang der realen Rentenverpflichtungen und die daraus resultierende Erhöhung der strukturellen Risikofähigkeit gemindert werden.

An dieser Stelle sei daran erinnert, dass die Ausarbeitung und Auswahl einer Anlagestrategie nicht nur unter dem Gesichtspunkt der Inflation erfolgen soll, sondern unter Berücksichtigung sämtlicher Faktoren, die die erwarteten Marktrenditen bestimmen, insbesondere die realen Zinsen und das reale Wirtschaftswachstum. Im gegenwärtig unsicheren Umfeld ist empfehlenswert, die Anlagestrategie unter Berücksichtigung verschiedener Szenarien (z.B. Rezession, Stagflation, Wachstum) zu bestimmen.

Anlagekategorien mit Inflationsschutz

Bei der Überprüfung und gegebenenfalls Anpassung der Anlagestrategie sollten im aktuellen Marktumfeld Anlagekategorien, deren Renditen positiv mit der Inflation korrelieren, mitberücksichtigt werden. Dazu zählen gemäss verschiedenen empirischen Analysen vor allem Rohstoffe, Gold und liquide Mittel, aber auch bestimmte Aktiensegmente und alternative Anlagen. Herkömmliche Obligationen weisen dagegen negative Renditen auf und sind daher eher zu vermeiden. Diese Analysen zeigen ebenfalls, dass der Inflationsschutz oft mit einer höheren Volatilität (der Anlagekategorie) einhergeht. Zudem hängen die Ergebnisse der Analysen stark vom Beobachtungszeitraum ab.

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In der Ausgabe von Juni 2022 befasst sich die «Schweizer Personalvorsorge» mit dem Thema ALM (Passivseite).