«Schweizer Personalvorsorge» 7/20: Halbjahresbilanz 2020 für Pensionskassen

5 Gründe, sich nicht zu sorgen – und 2 Gründe, es doch zu tun

Pensionskassen sind in verschiedener Weise von der Corona-Pandemie betroffen. Während in den Medien das neue Virus alle anderen Themen überlagerte und immer noch überlagert, beweist die 2. Säule still und heimlich ihre Daseinsberechtigung.

Das erste Halbjahr 2020 hat in der Schweiz diverse Selbstverständlichkeiten erschüttert. Das Augenmerk der Öffentlichkeit richtete sich dabei auf genau diese erschütterten Selbstverständlichkeiten: Die gesundheitliche Bedrohung, die eingeschränkte Bewegungsfreiheit, die Schwierigkeiten vieler KMU – die Liste liesse sich noch weiterführen.

Nicht auf dieser Liste ist die Sicherheit der Altersvorsorge – erst in den letzten Wochen fand das Thema wieder mehr mediales Gehör. Ketzerisch lässt sich sagen, dass sie seit einigen Jahren ohnehin schon zu den erschütterten Selbstverständlichkeiten gehört. Selbst unter dieser Prämisse kann aber speziell die 2. Säule zu den Krisengewinnern gezählt werden. Dies aus fünf Gründen:

Finanzielle Lage

Nimmt man die BVG-Indizes von Pictet als Massstab, dürfte das Gros der Pensionskassen im ersten Halbjahr ein Minus von 2 bis 5 Prozent verzeichnet haben. Das ist zwar nicht schön. Doch bei den meisten Kassen dürften die Wertschwankungsreserven gereicht haben, um eine Unterdeckung per Mitte Jahr abzuwenden – zu Ende des ersten Quartals sah es noch anders aus. Im Unterschied zur AHV ist auch die Beitragsperspektive ungetrübt: Jeder spart für sich selber, im Unterschied zum Umlageverfahren der 1. Säule ergeben sich durch eine höhere Arbeitslosigkeit keine unmittelbaren Finanzierungsprobleme.

Langfristiges Investieren

Es bewährt sich seit Jahrzehnten, dass Pensionskassen das Geld der Versicherten langfristig an den Kapitalmärkten investieren. Die jüngsten, stürmischen Zeiten zeigen, wie sinnvoll und wichtig es dabei ist, dass bei Markteinbrüchen nicht hektische Verkäufe getätigt werden: Pensionskassen fuhren gut mit einem Beibehalten der gewählten Strategie und einem diszipliniertem Rebalancing auf die Zielwerte – selbst wenn der Preis dafür eine temporäre Unterdeckung war. Müssten im Moment, in dem eine Kasse in Unterdeckung fällt, die Risiken minimiert werden, hätten zahlreiche Kassen den Aufschwung der Märkte ab Ende März verpasst.   

Leistungsparameter

Pensionskassen haben die guten Anlagejahre, speziell auch 2019, dazu genutzt, ihre Leistungsparameter zu senken und damit ihre Stabilität zu erhöhen und ihre Sollrendite zu senken. Das voraussichtlich schwache Anlagejahr 2020 und die Aussicht auf länger tief bleibende Zinsen sind so besser verdaubar. In der Branche wird zuweilen beklagt, dass laufende Renten nicht gekürzt werden können. Die aktuelle Krise zeigt, das diese Garantie viel wert ist: Rentenkürzungen in der Krise würden eine Gesellschaft noch stärker verunsichern und letztlich auch den Konsum schmälern, der zur Überwindung der aktuellen Rezession eine zentrale Rolle spielt.  

Arbeitsmarkt

Es ist absehbar, dass die laufende Krise Jobs kosten wird und die Arbeitslosigkeit steigen lässt. Es lohnt sich, angesichts dieser Entwicklung zwei – nicht erschütterte – Selbstverständlichkeiten der schweizerischen 2. Säule in Erinnerung zu rufen: Die volle Freizügigkeit und das Zwangssparen. Erstere bringt es mit sich, dass im Gegensatz zu vielen anderen Ländern keine Vorsorgeansprüche verloren gehen, wenn man den Arbeitgeber wechselt oder eben die Stelle verliert. Das Zwangssparen hilft, dass diejenigen Menschen, die eine Arbeit haben, auch in unsicheren Zeiten in die 2. Säule einzahlen (müssen) und diese Zahlungen nicht sistieren können – wie dies beispielsweise in den USA möglich ist und in der Konsequenz ein Grund für Altersarmut ist. 

Professionalität

Die Pensionskassen haben in den vergangenen Monaten bewiesen, dass sie operativ gut aufgestellt sind und beispielsweise die teils abrupte Umstellung auf Homeoffice relativ reibungslos bewältigen konnten. Die Renten wurden bezahlt, die Kassen blieben für Anliegen von Versicherten und Arbeitgeber erreichbar. Auch die Stiftungsräte und Ausschüsse führten ihre Arbeit im gewohnten Rahmen oder sogar, speziell im Fall der Anlageausschüsse, in noch intensiverer Weise fort. Dabei wurden diejenigen Kassen tendenziell belohnt, die sich bereits zuvor um eine digitale Funktionsweise bemüht hatten, während den Nachzüglern ihr Aufholbedarf unverblümt vor Augen geführt wurde.
Ein gleichermassen positives Fazit lässt lässt sich im Übrigen auch für andere Player der Branche ziehen, beispielsweise für Expertenbüros oder die Aufsichtsbehörden.

Zwei Gewitterwolken

Während im Rückblick die positiven Punkte dominieren, zweigen sich beim Blick nach Vorne zwei Gewitterwolken. Beide schweben schon seit Jahren am Pensionskassenhimmel, doch sind sie durch den bisherigen Jahresverlauf noch dräuender geworden:

Absturz der Kapitalmärkte

Die Gefahr eines Börsencrashs folgt dem Kapitaldeckungsverfahren wie ein Schatten auf Schritt und Tritt. Sie ist aber in diesen Monaten deutlich grösser geworden. Im angelsächsischen Raum wird vom Gap zwischen Wallstreet und Mainstreet gesprochen: Während die Wirtschaft in eine dramatische Rezession schlittert und die Arbeitslosigkeit steigt (soweit die Mainstreet), sind die Aktienkurse nach einem zwischenzeitlichen Absturz praktisch wieder aufs Vorkrisenniveau hochgeschnellt. Die Experten sind geteilter Meinung, ob uns dieser Gap, diese Kluft beängstigen muss: Die einen schätzen das Kursniveau als angemessen an, dem stützenden Einfluss der Notenbanken und einer baldigen, raschen Wirtschaftserholung sei Dank. Die anderen sagen nicht zuletzt ob des Ausmasses des Wirtschaftseinbruchs und der anhaltenden Verbreitung des Virus‘, dass dies noch nicht die ganze Abwärtsbewegung an den Märkten gewesen sein kann.

BVG-Reform

Zu guter Letzt und immer wieder die BVG-Reform. Im Kern hat sie herzlich wenig mit der aktuellen Krise zu tun. Sie könnte aber in der Dringlichkeit nach hinten rutschen ob drängenderer Fragen und, relativ banal, den Verzögerungen im gesamten parlamentarischen Prozess. So oder so stimmen die Vernehmlassungsantworten und die ersten Debatten, die es trotz der Omnipräsenz von Corona in die Medien geschafft haben, nicht sonderlich zuversichtlich: Es kündigt sich ein Hickhack an, das in einer Lösung zu münden droht, die letztlich nur von den Rechtsparteien oder nur von der Linken getragen wird. Das hehre Ziel eines tragfähigen und gehaltvollen Kompromisses scheint in die Ferne zu rücken.  

Flexibilität beweisen

Das Jahr 2020 fordert Pensionskassen und ihren Verantwortlichen, wie allen Unternehmen und überhaupt uns allen, grosse Flexibilität ab. Es wird dies auch weiterhin tun. Im Moment kann dies anstrengend, erschöpfend und zuweilen kostspielig sein. Auf lange Sicht, und Pensionskassen sind auf lange Sicht angelegt, kann diese Erfahrung aber dynamischer und stärker machen.    

Weitere Berichterstattung zum Thema

In der «Schweizer Personalvorsorge» werden monatlich unterschiedliche Aspekte der aktuellen Situation aufgegriffen. So wird im Akzentteil der Juliausgabe die Frage aufgegriffen, wie Pensionskassen in diesen turbulenten Zeiten sinnvolle Annahmen für eine erwartete Rendite treffen können. Ende Oktober publiziert vps.epas eine Sonderausgabe der «Schweizer Personalvorsorge» zur Frage, welche ersten Erkenntnisse Pensionskassen aus der Krise ziehen können (speziell im Anlagebereich).