«Schweizer Personalvorsorge» 11/20 - Reformstau in der Altersvorsorge

Wie Milliarden greifbar werden

In der 1. wie in der 2. Säule gelang seit über zehn Jahren keine substanzielle Reform mehr. Ein Grund dafür ist, dass Eigeninteressen und Parteipositionen gegenüber dem Interesse der Gesellschaft dominieren. Um die Dringlichkeit von Reformen verständlich zu machen, helfen konkrete Vergleiche.

Eine «gewisse Doppelmoral» ortete Erich Meier, Partner und Leiter KPMG Kompetenzzentrum Vorsorge, an einem Anlass des Beratungsunternehmens in der Schweizer Bevölkerung: Während Nachhaltigkeit in aller Munde und als Anliegen sehr populär sei, werde sie hinsichtlich Altersvorsorge ausgeblendet. Denn, so Meier, aufgrund des jahrzehntelangen Reformstaus ist das Schweizer Dreisäulen-System nicht mehr nachhaltig aufgestellt.

Die gesunkenen Zinsen machen insbesondere der 2. Säule zu schaffen, während die steigende Lebenserwartung in 1. und 2. Säule Spuren hinterlässt: Jeden Tag steigt die Lebenserwartung von 65-Jährigen um zwei Stunden. Unter diesen Umständen, so unterstreicht Meier, «läuft ein fixes Rentenalter auf eine laufende Erhöhung der Rentenzeit hinaus».

Verstörendes Defizit

Ein einfaches Modell ergibt, dass das Umlagedefizit der AHV bis im Jahr 2050 bei 22 Mrd. Franken liegt, das gesamte Umlagedefizit ab heute summiert sich bis dann auf rund 400 Milliarden. Um zu verstehen, wie gross dieses Problem wirklich ist, muss diese Zahl in einen Kontext gesetzt werden, meint Meier: So lag beispielsweise die Staatsverschuldung der Eidgenossenschaft 2019 bei 97 Mrd. Franken. Die Mehrwertsteuereinnahmen lagen bei 23 Milliarden und für die Bekämpfung der Covid-Folgen wurden dieses Jahr bisher 31 Mrd. Franken gesprochen.

Meier unterstreicht, dass die Summen, um die es in der Altersvorsorge geht, nur über solche Vergleiche und Konkretisierungen greifbar gemacht werden können. Für die Bevölkerung mögen die genauen Finanzierungsmechanismen der Altersvorsorge schwer zu durchschauen sein. Die Aussage, dass ohne Korrekturen im Jahr 2050 für das AHV-Defizit mehr Geld aufgeworfen werden muss, als die Jahresbudget für Bildung/Forschung, Landwirtschaft und Militär zusammen, macht den Handlungsbedarf aber offensichtlich.

Stockende Reformen

Diese Überlegungen sind daher wichtig, weil letztlich die Bevölkerung über jede Altersreform entscheidet – indirekt über die Politikerinnen und Politiker, die sie wählt, und direkt in einer Abstimmung über das konkrete Reformpaket. Die Reform der Altersvorsorge ist aus zwei Gründen so verkorkst:

Erstens hat jeder persönliche Interessen im Spiel. Wieviel muss ich zahlen und wieviel erhalten ich im Alter? «Verliere» ich dabei etwas? Immer wieder hört man gemäss Meier bei entsprechenden Diskussionen die Aussage «Ich habe das ganze Leben eingezahlt, ich habe das jetzt zu Gute.» Dieser Haltung liesse sich entgegenhalten, dass 92% aller Personen mehr Geld von der AHV erhalten, als sie einbezahlt haben.

Zweitens wird im Parlament die Debatte stärker als in anderen Themenfeldern von Partei-Positionen dominiert. Pragmatische Kompromisse sind in dieser Atmosphäre schwerer zu schmieden als in der Vergangenheit.

Transparenz und Bildung als Lösung

Und wie lässt sich dieser Reformstau auflösen? Meier unterstreicht, dass das Ziel des Anlasses nicht in der Präsentation neuer Vorschläge besteht, sondern in der Schaffung von Transparenz. Dies ist für ihn auch der Kern der Antwort: Wenn das Ausmass der Probleme klar und (auch für die Bevölkerung) verständlich gezeigt wird, wird offensichtlich, wie dringend ein Reformschritt ist.

Ergänzend macht er auf einen weiteren Punkt aufmerksam: Das Wissen für Finanzfragen und insbesondere die Kenntnis des Vorsorgesystems in der Bevölkerung sind äusserst bescheiden. Diesem Missstand sollte entgegengewirkt werden, am besten bereits in der Schule mit entsprechenden Ausbildungsmodulen.

Bei aller Transparenz und allem Wissen bleibt das Problem, dass letztlich nur drei Stellschrauben für eine Reform zur Verfügung stehen: Reduktion der Renten, Erhöhung der Beiträge oder Erhöhung des Rentenalters. «Nichts, das attraktiv ist», konstatiert Meier nüchtern.