BVG-Reform

Nationalrat kommt dem Ständerat entgegen

Der Nationalrat ging am Dienstag in die erste Runde der Differenzbereinigung mit dem Ständerat und ist in vielen Teilen der kleinen Kammer entgegengekommen.

Wo stehen wir in der BVG-Debatte? Beschlossen ist, dass eine Senkung des Umwandlungssatzes auf 6% erfolgen soll und dass entsprechende Kompensationen geleistet werden. Beschlossen ist ebenfalls, dass die Altersgutschriften angepasst werden. Nennenswerte Differenzen gibt es noch beim Koordinationsabzug, bei der Eintrittsschwelle und den Ausgleichsmassnahmen.»

Systemwechsel beim Koordinationsabzug

Beim Koordinationsabzug geht es auch um einen Systemwechsel: Prozent statt fixen Frankenbetrag. Der Ständerat schlägt einen prozentualen Koordinationsabzug von 85% vom versicherten Lohn vor. Eine deutliche Mehrheit der nationalrätlichen Sozialkommission (SGK-N) will hingegen den Koordinationsabzug auf die Hälfte reduzieren, also von 25725 auf 12443 Franken. Daneben sind drei Minderheitsanträge eingereicht worden: Alle plädieren sie für einen prozentualen Abzug. Gefordert wurden 15% anlog Ständerat, 20% und 40%, jedoch maximal 12443 Franken.

«And the winner is...» Thomas Rechsteiner, Wortführer des Minderheitsantrags II. Und dies sehr deutlich: 125 stimmten für einen Koordinationsabzug von 20% und nur 68 für den Mehrheitsbeschluss der SGK-N. Damit gibts nur eine geringe Differenz zum Ständerat: Dieser Punkt dürfte gebongt sein.

Regine Sauter (FDP, ZH) sagt es so: «Der Charme der prozentualen Lösung: Es ist eine Lösung auch für Personen mit Mehrfachbeschäftigungen. Wenn eine Frau bei einem Arbeitgeber 40 Prozent arbeitet und bei einem anderen 40 Prozent, dann werden beide Male nur diese 15 Prozent abgezogen, und der Rest ist versichert.»

Linke im Kosten-Nutzen-Dilemma

Am liebsten hätte die FDP-Liberale Fraktion den Koordinationsabzug vollständig abgeschafft. Diesen abschaffen wollte vor Jahresfrist auch Melanie Mettler (GLP, BE). Deshalb zeigte Regine Sauter wenig Verständnis, dass die grünliberale Fraktion ihren Antrag nicht mitträgt. Stattdessen plädierte Mettler für einen Koordinationsabzug von 40%, maximal 12443 Franken. Das würde heissen, dass Löhne ab 34000Franken mit dem fixen Koordinationsabzug Vorlieb nehmen müssten. Dass sie den Vorschlag Sauter nicht mitträgt, begründet Mettler mit der «Balance zwischen Kosten und Leistung». Bei Maximalforderungen seien diese manchmal nicht gegeben.

So holte sich die Grünliberale Unterstützung von den Linken. Diese stecken eh in einem Dilemma: Einerseits beklagen sie die tiefen Renten der Frauen, gleichzeitig stellen sie sich gegen die Erhöhung ihrer Beiträge, was schliesslich zu höheren Renten führen würde. Für Flavia Wasserfallen (SP, BE) ist das Preisschild der vorliegenden Vorschläge sehr hoch; das Kosten-Nutzen-Verhältnis im Ungleichgewicht.

Feilschen um den Status Quo 

Zur Eintrittsschwelle: Der Bundesrat will sie bei 22050 Franken belassen. Der Nationalrat wollte sie hingegen in seiner ersten Lesung auf 12548 halbieren, was dem Ständerat wiederum zu weit ging, so dass er als Kompromiss einen Wert von 17208 Franken festlegte. Die Mehrheit der SGK-N fand Gefallen an diesem Kompromiss, unterlag aber auch hier einem Minderheitsantrag - diesmal jenem von Melanie Mettler, die Eintrittsschwelle analog des Bundesrats bei 22050 Franken zu belassen.  

Was sind die Argumente: Für Mitte-Nationalrat Thomas Rechsteiner besteht mit der Senkung der Eintrittsschwelle auf 12548 Franken die Möglichkeit, «dass Teilzeit- und Mehrfachangestellte versichert werden, eine bessere Vorsorge haben und eine Rentenleistung aufbauen können.» Wie dem Ständerat geht das auch der SVP zu weit. Céline Amaudruz (SVP, GE) verweist auf die vielen zusätzlich versicherten Personen, die einen grossen administrativen Aufwand verursachten, nur um dann in Zukunft eine sehr kleine Rente zu bekommen.

Die grünliberale Melanie Mettler will die Eintrittsschwelle bei 22050 belassen, «um im Interesse der Mehrheitsfähigkeit der Vorlage dem Argument der Reformgegner und -gegnerinnen von links und rechts bezüglich der Schwelleneffekte entgegenzukommen.» Sie bekommt damit wiederholt Unterstützung der Linken, die ebenfalls das geltende Recht unterstützt.

Der Sprengsatz der Vorlage

Wiederholt wurden die Ausgleichsmassnahmen als Herz der Revision bezeichnet. Treffender wäre zu sagen: Die Ausgleichsmassnahmen sind nicht der Kern, aber der Sprengsatz der Vorlage. Ein Vorgeschmack dessen, wie die Abstimmungsschlacht geführt werden könnte, lieferte der Berichterstatter auf Radio SRF. Er sagte: «Viele werden sich die Frage stellen: Bekomme ich für die Senkung des Umwandlungssatzes eine Kompensation oder nicht? Und wenn schon die Hälfte der Übergangsgeneration keine Kompensation bekommt, wird das ein ganz heisser Lauf für die bürgerlichen Befürworter».

Sachlich ist die Aussage nicht falsch; aber im besten Fall ist sie irreführend. Sie suggeriert, dass jene, die keinen Zuschuss erhalten, mit tieferen Renten rechnen müssen. Dies ist insofern falsch, weil die Senkung des Umwandlungssatzes mit dem überobligatorischen Guthaben kompensiert wird. Anrechnungsprinzip nennt sich das.

Referendum ist wahrscheinlich

So plädiert Thomas Aeschi im Namen der SVP-Fraktion für das Kompensationsmodell, das der Nationalrat in der Wintersession 2021 verabschiedet hatte: «Es werden nur jene Personen entschädigt, die gemäss Anrechnungsprinzip direkt betroffen sind.» Das wären rund 35 bis 40% der Versicherten. Die Mehrheit entschied aber, dem Ständerat zu folgen, so dass um die 50% Rentenzuschläge erhielten. Den Befürwortern ist deshalb zu raten, schon heute zu üben, wie dem Stimmvolk der Begriff Anrechnungsprinzip erklärt werden soll.

Oder sind eben doch alle von der Senkung des Umwandlungssatzes betroffen? Katharina Prelicz-Huber (Grüne, ZH) sagt es so: «Es gibt leider verschiedene Pensionskassen, die ihren Umwandlungssatz verbunden mit überobligatorischen Leistungen gesenkt haben. Wenn nun aber der Umwandlungssatz generell auf 6 Prozent runtergeht, dann hat das nichts zu tun mit den überobligatorischen Leistungen», erläuterte sie auf eine Frage von Andri Silberschmidt (FDP, ZH). Zusammen mit den überobligatorischen Leistungen könnte der Umwandlungssatz danach noch tiefer werden. Der Effekt bliebe der gleiche.