Mehr Mut
Der durchschnittliche Deckungsgrad der Pensionskassen lag gemäss der Oberaufsichtskommission berufliche Vorsorge per Mitte 2021 bei 119.9% – ein Rekordstand. Zwei Drittel der Vorsorgeeinrichtungen haben ihre Zielwertschwankungsreserven vollständig geäufnet. Und dies notabene, nachdem die Branche den technischen Zins und die Umwandlungssätze über die letzten Jahre massiv gesenkt hat und viele auf die vorsichtigeren Generationentafeln umgestellt haben. Alles Massnahmen, die in der ein oder anderen Weise zulasten des Deckungsgrads gehen. Nicht nur ist der Deckungsgrad so hoch wie noch nie, auch die Sollrendite, um diesen zu halten, ist so tief wie noch nie. Eine Traumkombination.
Divide et para
Was tun? «Divide et impera» war die Machtdevise der alten Römer, teile und herrsche. «Divide et para», lässt sich in Analogie für die Pensionskassen sagen – (ver)teile und investiere. Konkretisieren wir diese beiden Punkte:
Verteilen
Die durchschnittliche Verzinsung der Vorsorgeeinrichtungen lag in den letzten 5 Jahren bei knapp 2.1%, was deutlich über dem Mindestzins und auch über der Verzinsung der Rentner liegt (1.9%). Die durchschnittliche Rendite lag über den gleichen Zeitraum bei 4.5% p.a. (alle Zahlen gemäss Swisscanto-Studie 2021).
Da die Anpassung der Leistungsparameter weit fortgeschritten ist und die technischen Rückstellungen weitgehend geäufnet sind, kann und soll künftig ein grösserer Teil der Performance direkt den Versicherten zugutekommen über eine höhere Verzinsung. Und ja, auch die Rentner sollten profitieren können – sinnvolle Beteiligungsmechanismen haben unterdessen viele Kassen eingeführt (Stichwort Kohortenmodell).
Höhere Zinsen für Aktive sind angebracht, weil die Renditen letztlich mit ihrem Kapital erarbeitet wurden. Sie entschärfen auch die leidige Diskussion der Umverteilung von Aktiven zu Rentnern. Neben dem Aspekt der Fairness haben sie einen interessanten Nebeneffekt: Das Vermögen der Aktiven nimmt dadurch stärker zu und durch die attraktive Verzinsung wird ein Anreiz geschaffen, mehr Einkäufe zu tätigen. Das Verhältnis zwischen Altersguthaben und Rentnerkapital bei den Pensionskassen bleibt so im Gleichgewicht, das Schreckgespenst einer immer risikounfähigeren, weil rentnerlastigen 2. Säule rückt in die Ferne.
Investieren
Der Aktienanteil in den Portfolios der Schweizer Pensionskassen lag Ende 2020 bei 32.7% – auch hier ein Rekordstand, wie in der Swisscanto-Studie vermerkt wird. Dieser Rekordstand ist aber, insbesondere im internationalen Vergleich, immer noch tief. Betrachtet man die langfristigen Perspektiven, sind Aktien Obligationen, aber auch Immobilien hinsichtlich Performance weit überlegen.
Sicher, die Risikofähigkeit jeder Pensionskasse hängt stark von ihrer Versichertenstruktur und dem Arbeitgeber ab. Die geäufneten Wertschwankungsreserven sollten nichtsdestotrotz Anlass geben, über die Anlagestrategie zu diskutieren. Ein höherer Aktienanteil verspricht eine höhere erwartete Rendite. Die damit einhergehenden höheren Schwankungen im Portfolio lassen sich leichter aushalten, wenn ein grosser Kapitalpuffer vorhanden ist. Die höhere erwartete Rendite – und hier sind wir wieder beim oberen Punkt – erlaubt auch weiterhin eine höhere Verzinsung für die Aktiven.
Das mag nun nach einem magischen Perpetuum Mobile der Geldvermehrung klingen, was es natürlich nicht ist. Eine Grundregel des Geldanlegens ist aber, dass ein Anleger umso mehr Risiken eingehen kann, je langfristiger er sein Geld anlegt und je besser er temporäre Rückschläge wegstecken kann. Beide Kriterien sprechen aktuell dafür, dass Pensionskassen mehr Anlagerisiken eingehen, sprich mehr Aktien kaufen können.
Aber…
Drei «Aber» dürften nun rasch folgen, wobei das letzte etwas subtiler ist.
Pensionskassen sollten nicht übermütig werden und zu viel Geld verteilen
Das stimmt. Eine Pensionskasse sollte auf soliden Füssen stehen, bevor Zusatzverzinsungen verteilt werden, das ist auch im Interesse der Versicherten. Nun ist es jedoch so, dass die Versicherten mit diesem Argument seit Jahren vertröstet werden. Über die Hälfte der üppigen Renditen der letzten Jahre floss genau in dieses Anliegen. Nun haben viele Kassen die selbstgesteckten Ziele hinsichtlich Leistungsparametern erreicht. Jetzt stehen die Pensionskassen solide da. Jetzt soll die Rendite direkt den Versicherten zukommen. Das ist nicht übermütig, sondern fair und angemessen.
In den Aktienmärkten ist viel heisse Luft, es ist nur eine Frage der Zeit bis die Blase platzt
Auch dies stimmt. Nur war dasselbe Argument bereits vor ein, zwei oder fünf Jahren zu hören. Niemand weiss, wann es an den Aktienmärkten wieder abwärtsgeht. Was wir aber wissen, ist, dass Aktien langfristig immer bessere Renditen liefern als andere, weniger schwankungsanfällige Anlagen. Wer vor ein, zwei oder fünf Jahren seine Aktienquote gesenkt hat, hat zulasten seiner Versicherten satte Opportunitätsverluste verzeichnet. Die Erfahrung an den Finanzmärkten legt nahe, dass Pensionskassen perspektivisch dasselbe machen, wenn sie heute, mit voller Risikofähigkeit, die Aktienquote nicht erhöhen – mögliche Marktbeben hin oder her.
Eine BVG-Reform kann nur gelingen, wenn der Handlungsbedarf offensichtlich ist
Wenn die Pensionskassen sagen, dass es ihnen gut geht, und durch ihr Handeln Stärke zeigen, so gefährdet dies die BVG-Reform, so dieses Argument: Der Handlungsbedarf würde dadurch von der Bevölkerung nicht mehr als «dringend und zwingend» wahrgenommen, wie die Branche dies mantraartig wiederholt. Das mag politisch etwas an sich haben. Es wäre aber ein unverzeihbarer Akt der Erpressung, den Versicherten alleine deswegen aktuell und zukünftig Milliarden an Zinsen vorzuenthalten. Wenn sich die Branche selber schwach redet, macht sie sich dadurch im Übrigen nicht glaubwürdiger. Und Glaubwürdigkeit ist auch politisch eine harte Währung.
Pensionskassen dürfen mehr Mut zeigen bei Verzinsung und Anlagestrategie. Die Zeit dafür ist reif und die Versicherten werden es ihnen danken.