«Schweizer Personalvorsorge» 10/19 - Streitgespräch zur BVG-Reform

Komische Solidaritäten und Zückerli aus der Giesskanne

Die Reformvorschläge der Sozialpartner beurteilen der ASIP-Verbandsdirektor Hanspeter Konrad wie auch der Herausgeber der bekanntesten Konsumentenzeitschriften René Schuhmacher skeptisch – allerdings aus ganz anderen Überlegungen.

Die Sozialpartner haben nach sehr langen Verhandlungen einen Reformvorschlag für die 2. Säule präsentiert. Was sind Ihre ersten Eindrücke?

Hanspeter Konrad: Es ist schon mal positiv zu werten, dass sich die Sozialpartner auf einen Vorschlag einigen konnten. Wir sind dabei, den Vorschlag zu analysieren. Es zeigt sich aber schon jetzt, dass sich kritische Fragen ergeben zum Rentenzuschlag für die Kompensation.

Ist die Höhe oder die Länge der Übergangsfrist das Problem?

Konrad: Beides. Wir haben im Mai bereits einen Vorschlag gemacht, der die Kompensationen anders lösen würde. Wir hätten eine weniger lange Übergangsfrist und weniger Solidaritäten zwischen den Kassen, weil es eine dezentrale Lösung gäbe. In diesem Umfeld werden wir den Vorschlag diskutieren.  Die Vernehmlassung wird im November gestartet.

René Schuhmacher: Mit diesem Reformvorschlag würden die Leistungen an die Versicherten gesenkt, weil der Renten-Umwandlungssatz von 6.8 auf 6 Prozent reduziert würde. Auf der anderen Seite stiegen die Prämien in einem Alter, in dem die Versicherten das Einkommen für ihre Familie benötigen.

Das Problem der Reform liegt darin, dass sie nicht aus Sicht der Versicherten konzipiert wurde.

Aber diese erhöhten Beiträge sollen das Rentenniveau halten?

Schuhmacher: Das Rentenniveau kann ohne Prämienerhöhung gehalten werden. Das zeigen die wachsenden Reserven der Pensionskassen. Mich überzeugt dieser Vorschlag überhaupt nicht, auch nicht die «Zückerli», die sie einbauen, um bei der Abstimmung mehr Chancen zu haben. Solidaritäten unter den Prämienzahlern gehören in die AHV. Bei den Pensionskassen sollte man beim Grundprinzip bleiben: Jeder spart für sich, und die Zins-Erträge werden dem Alterskapital zugeschlagen.

Würden Teilzeitarbeitende von dieser Reform nicht profitieren?

Schuhmacher: Den angeblichen Vorteil für Teilzeiterwerbstätige muss man stark relativieren. Mit der Halbierung des Koordinationsabzugs erhält man rechnerisch höhere Renten für Personen mit tieferen Einkommen. Die meisten dieser Leute erhalten aber im Alter genau gleich viele Franken weniger Ergänzungsleistungen. Das heisst unter dem Strich: Leute mit wenig Einkommen müssen mehr Prämien als heute bezahlen, haben aber im Alter aus der AHV, der Pensionskasse und den Ergänzungsleistungen gleich viel Geld zur Verfügung.

Konrad: Bei den Teilzeitarbeitenden gibt es sehr viele Möglichkeiten. Im ASIP-Vorschlag wird  der Bezug zum AHV-Lohn gemacht. Die Sozialpartner schlagen nun einen anderen Weg vor. Mit dem vorgeschlagenen Mechanismus werden die Teilzeitbeschäftigten im Vergleich zu heute bessergestellt.

Die Senkung des Mindest-Umwandlungssatzes wird durch verschiedene Massnahmen
kompensiert, also gibt es keine sinkenden BVG-Renten.

Das erwähnte Problem mit den Ergänzungsleistungen gibt es immer an den Schnittstellen der einzelnen Sozialversicherungen.

Schuhmacher: Ja – aber genau deshalb muss man die Konsequenzen der Vorschläge auch im Hinblick auf andere Sozialversicherungen beurteilen. Wieso sollen die Leute ja sagen zu einer Verschlechterung ihrer Altersvorsorge? Das Problem der Reform liegt wohl darin, dass sie nicht aus Sicht der Versicherten konzipiert wurde. Sondern von Verbandsvertretern.

Auch von Arbeitnehmervertreter?

Schuhmacher: Ja, aber meines Erachtens sollten bei einer Reform des BVG endlich ein Geburtsfehler korrigiert werden. Nicht Arbeitgeber- und Arbeitnehmer, sondern Arbeitnehmer und Rentner müssten im Stiftungsrat der Pensionskassen vertreten sein. Sie finden in keiner Sozialversicherung Arbeitgeber, die bestimmen können, wie die Leistungen aussehen. So werden die Rentner benachteiligt.

Konrad:  Sie sagen zwar, dass das Ihre persönliche Meinung ist. Das könnte auch ein Leitartikel im «KTipp» sein. Die Führung durch die Sozialpartner, also Arbeitgeber und Arbeitnehmer hat sich in den vergangenen Jahrzehnten bewährt. Die Pensionskassen erbringen ihre Leistungen und haben in den letzten Jahren auch anspruchsvolle Situationen meistern müssen. Zudem darf nicht vergessen werden, dass wir beim Reformvorschlag über das BVG-Minimum sprechen.

Diese paritätisch zusammengesetzten Führungsgremien haben ja oft längst beschlossen, was nun mit der Reform vorgeschlagen wird?

Konrad: Fälschlicherweise wird immer wieder geschrieben «die PKs senken die Renten». Es sind aber Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertreter in den Führungsorganen und zunehmend auch Rentnervertreter, die diese Beschlüsse fällen. Da bin ich durchaus einverstanden, dass Rentner auch mitbestimmen können. Das ist in immer mehr Vorsorgeeinrichtungen der Fall.

Schuhmacher: Aber sie haben keinen Anspruch auf einen Einsitz.

Mit dem Argument, dass sie ja garantierte Renten haben?

Konrad: Sobald die Rentengarantie wegfällt, stellt sich diese Frage wieder anders.

Herr Schuhmacher meinte eingangs, das Hauptproblem des Reformvorschlags sei der sinkende Umwandlungssatz, also sinkende Renten. Wie sehen Sie das?

Konrad: Das ist falsch. Die Senkung des Mindest-Umwandlungssatzes wird durch verschiedene Massnahmen kompensiert, also gibt es keine sinkenden BVG-Renten. Natürlich kostet diese Kompensation etwas. Aber auch mit den höheren Spargutschriften erhöht sich das Altersguthaben, und dies hat dann wieder einen positiven Effekt auf die Höhe der künftigen Rente. Insofern gibt es keine Kürzung.

Das tönt nun weniger skeptisch als eingangs?

Konrad: Die grossen Diskussionen bei diesem Vorschlag werden sich um den Rentenzuschlag drehen. Braucht es diesen in dieser Grössenordnung? Braucht es ihn für 15 Jahre? Was passiert nachher? Das sind Fragen, die seitens des ASIP sehr kritisch beurteilt werden.

Es ist ja bereits von Giesskanne die Rede?

Konrad: Das ist es natürlich. Die Arbeitgeber und Arbeitnehmer der umhüllenden Kassen, die schon Umwandlungssatzsenkungen in den Kassen finanziert haben, kommen nun ein zweites Mal zum Handkuss.

Schuhmacher: Gewerkschaften führen auch Pensionskassen. Sie sind hier nicht neutral, sondern denken wohl auch an das Wohlergehen ihrer eigenen Stiftungen – nicht nur an die Versicherten.

Konrad: Ja hoffentlich. Das ist sehr begrüssenswert. Und den Reformbedarf kann man nicht bestreiten.

Interview: Peter Schnider
Fotos: Claudio Zemp

Dies ist ein Auszug aus einem Gespräch, das im August geführt wurde. Den zweiten Teil des Interviews lesen Sie im Akztentteil der Oktoberausgabe der «Schweizer Personalvorsorge».