«Schweizer Personalvorsorge» 09/19 - Interview mit Donald Desax

Ein Tabubruch, um die Umverteilung im BVG einzudämmen

Die Nachfrage nach Vollversicherungslösungen ist ungebrochen, nur sind diese im aktuellen Umfeld schwer finanzierbar. Ein Interview mit Donald Desax, Leiter Berufliche Vorsorge bei Helvetia, über unternehmerische Pflichten, Verrentungsverluste und eine Nachtübung.

Interview: Kaspar Hohler und Judith Yenigün-Fischer

Foto: Kaspar Hohler

Helvetia steht weiter zum Vollversicherungsmodell. Wieso?

Schon bei der BVG-Einführung waren die Lebensversicherer mit ihrer Garantielösung für die KMU unverzichtbar. Das hat sich bis heute nicht geändert: Obwohl die Konditionen unter Druck sind, sagen viele Unternehmer: Wir wollen eine Garantielösung. Zuletzt zeigte sich dies beim Ausstieg der AXA aus diesem Modell, der viele Kunden dazu bewog, einen anderen Vollversicherungsanbieter zu suchen statt eine teilautonome Lösung zu akzeptieren. Notabene im Wissen um die höheren Kosten der Garantielösung. Wenn diese Nachfrage da ist, muss die Industrie in der Lage sein, dieses Bedürfnis abzudecken.

Koste es, was es wolle?

Die Finanzierung muss so gebaut werden, dass KMU sich zu vertretbaren Konditionen versichern können. Die Fortführung der Garantielösung ist ein unternehmerisches Bekenntnis zu einer Nachfragesituation in der Schweiz.

Wie sieht der Umbau Ihrer Vollversicherungslösung aus?

Unsere Umwandlungssätze sind nach Obligatorium und Überobligatorium getrennt. Das bleibt auch so, aber wir haben das sogenannte Anrechnungsprinzip wie es bei den Pensionskassen üblich ist eingeführt. Der Umwandlungssatz fürs Überobligatorium sinkt schrittweise bis 2023 auf 4.4 Prozent, fürs Obligatorium senken wir den Satz schrittweise auf 6 Prozent.

Ihr Unternehmen führt den Claim «einfach.klar». Ist es denn klar und einfach erklärbar, dass Sie einen obligatorischen Umwandlungssatz definieren, der unter dem obligatorischen Mindestumwandlungssatz liegt?

Ja, natürlich. Das Anrechnungsprinzip ist aus der Welt der teilautonomen und autonomen Pensionskassen bekannt und vertraut. Hätten wir auf einen einheitlichen, umhüllenden Satz gewechselt, was wir geprüft haben, läge dieser wohl im Jahre 2023 bei etwa 5 Prozent. Dies hätte eine Erhöhung des bisherigen überobligatorischen Umwandlungssatzes bedeutet, was wir vermeiden wollten. Zudem kann man im Splitmodell rascher auf eine Senkung des BVG-Umwandlungssatzes reagieren – eine Hoffnung, die mit dem BVG-Reformvorschlag der Sozialpartner wiederauflebt. Den bestehenden überobligatorischen Satz können wir auch aus regulatorischen Gründen nicht mehr viel weiter senken. So blieb nur der Weg, den wir nun einschlagen, um die Umverteilung von Erwerbstätigen zu Rentnern einzudämmen.

Was bedeutet das in Zahlen?

Letztes Jahr betrugen die Verrentungsverluste 166 Mio. Franken, was 0.8 Prozent des Kapitals entspricht. Projektionen zeigen, dass sich die Verrentungsverluste bis 2030 verdreifachen, wenn wir nichts unternehmen. Diese Kosten lassen sich bei den aktuellen Kapitalmärkten nicht mehr finanzieren. Mit dem Anrechnungsprinzip im Split-Modell können wir die Verrentungsverluste stabilisieren – nicht eliminieren, wohlgemerkt. Selbstverständlich führen wir im Übrigen auch eine BVG-Schattenrechnung und zahlen immer mindestens die BVG-Renten aus. Der Umwandlungssatz von 6.8 Prozent auf dem Obligatorium ist also in jedem Fall garantiert.

Für die Versichererwelt bedeutet die Anwendung des Anrechnungsprinzips einen Tabubruch.

Das Anrechnungsprinzip ist in der autonomen Welt seit längerem verwurzelt, in den Garantielösungen der Lebensversicherer fand es bisher keine Anwendung. Offenbar fehlte uns Lebensversicherer einfach die Phantasie um in Analogie zur autonomen Welt diesen Tabubruch ins Aug zu fassen.

Was sagte die Finma dazu?

Nach anfänglicher grosser Skepsis kam auch die Finma zum Schluss, dass nichts gegen das Anrechnungsprinzip in der Vollversicherung spricht, weshalb sie den neuen Tarif genehmigte.

Bei der Erklärung des neuen Modells kam Ihnen nicht gerade Freund Zufall, aber Freund überraschendes Zustandekommen eines Kompromisses zu Hilfe, sieht doch der Sozialpartnervorschlag just eine Senkung des Umwandlungssatzes auf 6 Prozent vor.

Es freut mich auch persönlich sehr, dass die Sozialpartner einen Kompromissvorschlag zustande bekamen. Wir haben nach Bekanntwerden intern in einer Nachtübung die Eckwerte überarbeitet: Ursprünglich sahen wir als Zielwert im Obligatorium einen Umwandlungssatz von 5.6 Prozent vor, nun sind wir, in Anlehnung an den Reformvorschlag und auch zu seiner Unterstützung, auf 6 Prozent gegangen. Das abweichende Modell des Gewerbeverbandes hat die Idee der Senkung auf 6 Prozent in einem Schritt ja auch übernommen. Die Übereinstimmung unseres Modells mit der für 2021 oder 2022 absehbaren BVG-Reform hilft effektiv, das Modell unseren Kunden besser zu erklären. Wenn die Senkung des gesetzlichen Umwandlungssatzes kommt, ändert sich für sie nichts. Im Übrigen bin ich überzeugt, dass auch bei allen anderen Anbietern die Sätze rasch auf 6 Prozent sinken werden, sobald die Reform in Kraft ist.

Mehr zum Thema im Heft

In der Oktoberausgabe der «Schweizer Personalvorsorge» lesen Sie ein ausführliches Interview mit Donald Desax.