«Schweizer Personalvorsorge» 11/19 - Rentnerlastige Pensionskassen

Die Zeitbombe fachgerecht entschärfen

Peter Zanella, Senior Director Retirement Services bei Willis Towers Watson, hat in der NZZ die Idee einer «Bad Bank» für rentnerlastige Pensionskassen lanciert. Im Interview mit der «Schweizer Personalvorsorge» führt er seine Vision näher aus.

Sie schreiben in Ihrem Kommentar, man könnte «im Sinne einer Bad Bank eine Rentnersammelstiftung kreieren». Ist es nicht etwas heikel, Rentnerinnen und Rentner mit maroden Krediten zu vergleichen?

Die Bezeichnung «marod» ist eine subjektive moralisierende Wertung und unterstellt ein gewisses vermeidbares Verschulden der Pensionskassen; dieses ist hier meines Erachtens jedoch fehl am Platz. Tatsache ist, dass aufgrund der unerwarteten Marktentwicklung, insbesondere seit der Finanzkrise, laufende Renten heute nicht ohne Quersubventionierung der aktiven Versicherten oder des Arbeitgebers sicher finanziert sind. Im Zeitpunkt ihrer Entstehung, vor allem vor 2008, sind sie jedoch in vielen Fällen durchaus fair finanziert worden. Dabei spreche ich nicht ab, dass die Rentenverpflichtungen mit den notleidenden Krediten von grossen Finanzinstituten verglichen werden können, deren Ursache auch auf die Finanz- und Eurokrise zurückgeführt werden kann. Die Kreation von Bad Banks wurde bei diesen in Schieflage geratenen Finanzinstituten ermöglicht, da ohne diese Massnahmen ihr Funktionieren nicht mehr garantiert werden konnte. Man tat dies wegen der «too big too fail»-Problematik: Durch die faktische Kollektivierung von Risiken sollte Schaden für die Allgemeinheit abgewendet werden. Ähnlich sehe ich die Situation bei den Rentnern: wenn die Problematik nicht proaktiv angegangen wird, wird meines Erachtens die 2. Säule in grosse Bedrängnis geraten.

Inhaltlich regen Sie an, eine solche Sammeleinrichtung beispielsweise dem SiFo anzugliedern und damit zentral zu führen. Wie passt dies zur dezentralen Grundidee der 2. Säule?

Die Implementierung der Idee ist nicht in Stein gemeisselt. Es wäre durchaus denkbar, dass mehrere Rentnersammelstiftungen qualifiziert wären für die Durchführung. Eventuell regional organisiert mit verschiedenen Trägerschaften, zum Beispiel Versicherungsgesellschaften oder bereits bestehenden geeignete Sammelstiftungen. Wichtiger ist, dass die Finanzierung letztendlich durch den Staat beziehungsweise die Nationalbank gewährleistet wäre. Als geeignetes Kriterium für eine Qualifizierung würde ich dabei aber eine gewisse kritische Grösse voraussetzen, um die bestmögliche Kosten- und Risikoeffizienz zu ermöglichen. So sollte zum Beispiel eine «return-seeking»-Anlagestrategie ermöglicht werden können, um in den Genuss der Vorteile des dritten Beitragszahlers zu kommen. Der Sicherheitsfonds hätte dann die Funktion, die Qualifizierung und die potentiellen Garantiezahlungen an die Träger zu überwachen. Die Grundidee der Dezentralisierung braucht also hier nicht angetastet zu werden.

 

Schlussendlich muss der Wille da sein, aus festgefahrenen Denkmustern zu kommen und eine für alle tragbare Lösung innert vernünftiger Frist
zu realisieren.

Es gibt ja bereits Sammeleinrichtungen, die Rentnerbestände übernehmen. Wieso soll das Problem nicht dem Markt überlassen werden?

Leider ist festzustellen, dass der Markt im Tiefzinsumfeld sehr schlecht funktioniert mit den heutigen rechtlichen Strukturen. Vielfach werden Rentnerbestände vor allem als Risiko gesehen und daher bei ungünstiger Risikostruktur gar nicht mehr übernommen oder zu solch exorbitant hohen Kosten, dass sie nicht mehr finanzierbar sind. Die Hauptgründe für dieses Phänomen sind dabei die folgenden:

  • es gibt bei reinen Rentnerkassen keinen Hauptsponsor (Arbeitgeber oder Aktivversicherte) mehr, der in Krisenzeiten durch Sanierungsbeiträge einspringen könnte;
  • die Anlagestrategie darf infolgedessen nicht allzu aktienlastig sein, damit die Volatilität der Anlagen niedrig ist und damit der Sanierungsfall mit höchster Sicherheit vermieden werden kann;
  • infolgedessen muss von niedrigen Vermögensrenditen ausgegangen werden, was wiederum ein tiefer Bewertungszinssatz und ein fehlender dritter Beitragszahler zur Folge hat.

Die Idee versucht, den fehlenden Hauptsponsor oder «lender of last resort» wieder ins Spiel zu bringen, um diesen Teufelskreis zu durchbrechen. Im Übrigen könnten, wie erwähnt, bereits bestehende und im Markt bewährte Sammeleinrichtungen als qualifizierte Träger fungieren. Eine vom Markt getragene Durchführung würde ich klar favorisieren, aufgrund der höheren zu erwartenden Effizienz.

Eine zentrale Rentnersammeleinrichtung sollte nach Ihrer Vorstellung finanziellen Rückhalt durch die Nationalbank (SNB) geniessen, da diese die Nullzinspolitik verantwortet. Wie könnte dies genau funktionieren?

Auch hier ist die konkrete Funktionsweise nicht in Stein gemeisselt. Wie bei der Bankenrettung sind verschiedene Modelle denkbar:

  • Die SNB könnte zum Beispiel bei den jährlichen Ausschüttungen an die Kantone auch Ausschüttungen an die qualifizierten Rentnerkassen berücksichtigen;
  • Oder es würde ein eigens dafür geäufneter Fonds kreiert, welcher durch eine einmalige Zahlung der SNB finanziert würde;
  • Denkbar wäre auch, dass die SNB schlicht eine Garantieerklärung abgibt, die nur im Bedarfsfall zu einer tatsächlichen Zahlung führt.

Wichtig ist, dass von der SNB geleistete Zahlungen bei Normalisierung der Zinsen auch wieder an sie zurückfliessen können. Die SNB fungiert hier lediglich als «lender of last resort».

Sie bezeichnen die von Ihnen skizzierte Lösung selber als «unorthodox». Was braucht es, damit unorthodoxe Lösungsvorschläge in der Altersvorsorge zu ernsthaft diskutierten Möglichkeiten werden?

Es braucht zuerst einmal die Einsicht, dass ein fundamentales Problem besteht, das unser Vorsorgesystem ernsthaft in Frage stellt. Dann sollte auch klar sein, dass bis auf eine Ausnahme (nämlich die Initiative von Josef Bachmann) noch kein wirklich gangbarer Lösungsansatz ernsthaft diskutiert wird. Schlussendlich muss der Wille da sein, aus festgefahrenen Denkmustern zu kommen und eine für alle tragbare Lösung innert vernünftiger Frist zu realisieren. Dabei ist vor allem die Politik gefordert, welches dieses heisse Eisen bis anhin einfach ignoriert hat.  Es ist zu hoffen, dass die neu gewählten Parlamentarier diese Problematik mutig und dezidiert angehen werden.

Interview: Kaspar Hohler

Der Akzentteil der Novemberausgabe der «Schweizer Personalvorsorge» beschäftigt sich mit dem Thema
«Rentnerlastige Pensionskassen».