«Schweizer Personalvorsorge» 4/20: Studie des Swiss Finance Institute

Die Negativzinsen in der Schweiz: Fluch oder Segen?

Überwiegen die Vorteile des von der SNB seit 2015 verhängten Negativzinses immer noch die Kosten für die Schweizer Wirtschaft? Wären Alternativmassnahmen denkbar? Diesen Fragen geht eine Studie nach, mit welcher das Swiss Finance Institute eine öffentliche Debatte anzustossen hofft. Philippe Bacchetta, Professor an der Universität Lausanne, ist Mitautor dieser Studie.

Seit mehr als fünf Jahren lebt die Schweiz in einem wirtschaftlichen Ausnahmezustand. Dieser begann im Januar 2015 mit der Einführung eines Negativzinses auf Sichteinlagen der Handelsbanken bei der SNB. Auch andere Zentralbanken haben sich des Mittels von Negativzinsen bedient. Allerdings sind die in keinem anderen Land so tief wie in der Schweiz und in den letzten Monaten wurden vermehrt Stimmen laut, welche die Auswirkungen dieser Politik auf die Wirtschaft allgemein, und insbesondere auf den Bankensektor und die Pensionskassen anprangern.

Eine am 16. März veröffentlichte Studie des Swiss Finance Institute (1) zeigt die Vor- und Nachteile der Politik der SNB auf und schlägt einige möglichen Szenarien für die Zukunft vor.

Preisstabilität entscheidend

Die SNB konzentriert sich auf ihr Kernmandat: die Gewährleistung der Preisstabilität. Aus ihrer Sicht ist sie davon überzeugt, dass die Negativzinsen auf den Einlagen notwendig sind, um einen signifikanten Anstieg des Schweizer Frankens zu vermeiden. In einem Land, wo «zwei Drittel des BIP vom Export abhängen», so die Studie, könnte ein starker Anstieg der Währung zu einer Rezession und Deflation führen.

Es geht also nicht so sehr darum, ob die Zentralbank mit der Anhebung kurzfristig beginnen könnte, sondern vielmehr «um die Frage, ob die SNB überhaupt in der Lage ist, einen solchen Kurswechsel einzuleiten».

Denn langfristig werden die Zinssätze von den Märkten bestimmt, insbesondere von den Prognosen über zukünftige Inflation und Zinssätze. Vor dem Hintergrund, dass die globalen langfristigen Realzinsen in den letzten Jahren gesunken sind, weil weltweit mehr gespart und weniger investiert wird, haben wir in der Schweiz derzeit sowohl negative Real- als auch negative Nominalzinsen im lang- und im kurzfristigen Bereich.  

Dies bringt gewisse Vorteile, unter anderem die Sicherung eines der Exportindustrie förderlichen Wechselkurses und damit auch die Sicherung von Arbeitsplätzen. Darüber hinaus werden in unserem Land öffentliche und private Schulden zu günstigen Konditionen gezeichnet.

Es entstehen aber auch viele Nachteile, unter anderem die Gefahr einer Immobilienblase und einer verminderten Rentabilität – und damit Schwächung - der Banken.

Was die Pensionskassen betrifft, so sind sie versucht, übermässige Risiken einzugehen, um die notwendigen Erträge zu erzielen. Und ausserdem ermutigen sie junge Menschen dazu, vorzeitig für den Ruhestand zu sparen, was wiederum zu einem Teufelskreis von überschüssigem Sparkapital und deshalb weiter sinkenden Zinsen führen könnte…

Geldpolitik stösst an Grenzen

Was aber noch schwerer wiegt ist die Tatsache, dass in den Augen der Autoren des Papiers die derzeitige Geldpolitik möglicherweise an ihre Grenzen gestossen ist. Deshalb wünschen sie, dass öffentlich über mögliche geldpolitische Alternativen für die Zukunft diskutiert wird.

Dazu gehört auch das «Helikoptergeld»,  eine Massnahme die darin besteht, neu geschaffenes Geld direkt an die Wirtschaftsakteure zu verteilen. Obwohl von den Negativzinsen besonders stark in Mitleidenschaft gezogen würden die Pensionskassen wohl eher nicht zu den Nutzniessern dieses Geschenks gehören. Denn – erklärt Philippe Bacchetta – es geht darum «das Geld direkt unter das Volk zu bringen, um den Konsum anzuregen.»

In Zeiten der negativen Einlagenzinsen läuft ein Verhalten dieser Geldpolitik zuwider und zwar, das Horten von Bargeld, was zudem «Kosten verursacht und neue Risiken schafft» für diejenigen, welche dies praktizieren. Um diesem Trend entgegenzuwirken könnte die Zentralbank andere unkonventionelle Instrumente einsetzen, die in der Studie erwähnt werden, zum Beispiel «die Besteuerung von Bargeldtransaktionen, um alle Wirtschaftsakteure, einschliesslich der Pensionskassen davon abzuhalten, Bargeld in Schweizer Franken zu verwenden.»  Philippe Bacchetta plädiert stattdessen dafür, sich über eine Kombination verschiedener Methoden Gedanken zu machen, da alle ihre Vor- und Nachteile haben.

Mit viel Geld gegen die Krise

Da die SFI-Studie mit den im Februar verfügbaren Date durchgeführt wurde – also vor der Ausbreitung der Covid-19-Pandemie und den vom Bundesrat zu deren Bekämpfung angekündigten Massnahmen - sind darin die unkonventionellen Massnahmen noch nicht untersucht worden, die seither in einigen Ländern ergriffen wurden.  

Angesichts der sich auch in der Schweiz abzeichnenden Rezession und des relativ bescheidenen Konjunkturpakets des Bundesrates von rund 40 Milliarden Franken, während allein Deutschland mehr als 800 Milliarden ankündigte, könnte der Aufwertungsdruck auf den Schweizer Franken weiter zunehmen. Philippe Bacchetta macht sich stark für ein ehrgeizigeres Konjunkturprogramm  von «mindestens 100 Milliarden Franken oder 15 Prozent des Schweizer BIP», wobei er sogar die Möglichkeit in Betracht zieht, bis auf 35 Prozent des BIP zu gehen, um der Schweizer Wirtschaft bei der Meisterung dieser aussergewöhnliche Krise zu helfen.

Die SFI-Studie und die für die Zukunft zu erwägenden geldpolitischen Massnahmen werden am 12. Mai Gegenstand eines öffentlichen Webinars sein.

(1) SFI Public Discussion Note – Taux d’intérêt négatifs
Prof. Dr. Philippe Bacchetta, SFI Senior Chair, Université de Lausanne ; Prof. Dr. Urs Lendermann, Deutsche Bundesbank, University of Applied Sciences ; Prof. Dr. Alfred Mettler, SFI Adjunct Professor, University of Miami ; Dr. Markus P. H. Bürgi, Membre de la direction, Swiss Finance Institute