Wo setzen Sie die Grenze zwischen den Begriffen «Solidarität und Umverteilung»?
Walter Stamm: Seit September 2017 bin ich Rentenbezüger der Pensionskasse Roche, in die ich vierzig Jahre Beiträge einbezahlt habe. Dass ich jetzt eine Rente beziehe, hat meine Ansicht und Überzeugung bezüglich Solidarität in keiner Weise verändert. Seit einiger Zeit wird in der 2. Säule, von verschiedenen Seiten, die Umverteilung von den Aktiven zu den Rentnern moniert. Ich bin überzeugt, dass das System alle Höhen und Tiefen schadlos überstanden hätte, wenn man seit Einführung der obligatorischen beruflichen Altersvorsorge 1985 nichts an den Parametern verändert hätte. Das Problem in der Vergangenheit war, dass die in den 90er Jahren reichlich erwirtschafteten Überschüsse auf Druck von aussen in Form von Rentenerhöhungen und Beitragspausen für Arbeitnehmer und Arbeitgeber verteilt wurden. Die 2. Säule ist eine Versicherung, ähnlich wie viele andere auch. Sie ist auf dem Prinzip der Solidarität aufgebaut und kennt streng genommen keine gewollte Umverteilung. Über die mehr als 30 Jahre BVG betrachtet, sind die Solidaritäten zwischen aktiven Versicherten und Rentnern etwa ausgeglichen. In den 90er Jahren finanzierten zum Beispiel die Rentner in einigen Kassen wie Swissair oder Novartis den Aktiven und Arbeitgebern die Beitragspause. Damals sprach man von Rentenklau.
Susanna M. Walker: Die grösste Umverteilung sehe ich als Stiftungsrätin zwischen den aktiven Versicherten und Rentenbezügern. Die gesetzlichen Rahmenbedingungen geben uns aber bei den Rentnern keinen Handlungsspielraum. Langfristig ist es uns dennoch ein Anliegen, die aktiven Versicherten und die Rentner gleich zu behandeln. Dafür benötigen wir vorerst einen besseren Deckungsgrad beziehungsweise höhere Renditen. Es ist jedoch anzumerken, dass in der Vergangenheit die Umverteilung von Aktiven zu Rentnern dank guten Renditen nicht oder nur begrenzt zum Tragen kam. Beispielsweise wurde im Jahr 2017 bei comPlan eine Rendite von 9.3 Prozent auf dem gesamten Deckungskapital erwirtschaftet. Den Rentnern wurde jedoch keine Rentenerhöhung gewährt, bei einer technischen Verzinsung der Rentnerkapitalien mit 2 Prozent, so dass hier eine Minderung der Umverteilung zu den Rentnern erfolgte. Dieses Thema ist über einen längeren Zeitraum zu beurteilen.
Wie gehen Sie mit dem Dilemma der Solidarität/Umverteilung in Ihrer Vorsorgeeinrichtung um?
Stamm: Das stellt eine grosse Herausforderung an den Stiftungsrat dar. Auf der einen Seite muss man die Parameter subtil anpassen, ohne in einen Aktionismus zu verfallen, der dem Solidaritätsgedanken der Altersvorsorge zuwiderläuft. Auf der anderen Seite muss man die Versicherten informieren und aufklären, denn diese sind oft von der Boulevardpresse schlecht bis falsch informiert.
Walker: Wir haben im letzten Jahr erneut eine Ausbildung an einer Stiftungsratssitzung durchgeführt, an der die Solidaritäten und Umverteilungen in unserer Kasse aufgezeigt wurden. Der Stiftungsrat ist sich dieser Problematik bewusst und steuert die Umverteilung so gut wie möglich. Weit mehr als zehn Jahre wurde den Rentnern etwa keine Rentenerhöhung mehr gewährt, die Reduktionen des Umwandlungssatzes wurden teilweise vom Arbeitgeber getragen, so dass die Aktiven die Ausfinanzierung der Rentendeckungskapitalien nicht vollständig tragen mussten. Unsere Handlungsmöglichkeiten als Stiftungsrat sind jedoch beschränkt.
Welche Solidaritäten sind in Ihrer Pensionskasse gewollt?
Stamm: Wie wohl in den meisten Pensionskassen sind die Solidaritäten zwischen früh Versterbenden zu lang Lebenden, von Gesunden zu Invaliden, von Ledigen zu Familien oder zwischen Männer und Frauen Solidaritäten, die von den meisten Versicherten akzeptiert und mehrheitlich unbestritten sind. Natürlich gibt es immer wieder Forderungen, bestehende Solidaritäten zu eliminieren und die Altersvorsorge zu individualisieren.
Walker: Wie erwähnt besteht die grösste Solidarität zwischen den aktiven Versicherten und den Rentnern. Bei den aktiven Versicherten haben wir wie üblich vor allem beim Umwandlungssatz zahlreiche weitere Solidaritäten: zum Beispiel die Solidarität zwischen Ledigen und Verheirateten. Die ledigen aktiven Versicherten, die im Todesfall keine leistungsberechtigten Lebenspartner und Kinder hinterlassen, müssten eigentlich eine höhere Altersrente erhalten, da keine Anwartschaften in Form von Partner- oder Waisenrenten beziehungsweise einem Todesfallkapital fällig werden. Ähnlich spielt die Solidarität zwischen Kinderlosen und Versicherten mit Kindern, aber auch die Solidaritäten zwischen Frauen und Männern. Die Frauen müssten eigentlich versicherungstechnisch trotz der höheren Lebenserwartung aufgrund der zahlenmässig kleineren Anwartschaften die höheren Umwandlungssätze haben; und zwischen Personen, die heute pensioniert werden (Pensionierungsverluste) und denen, die noch nicht pensioniert werden.
Wie zeigt sich die unerwünschte Umverteilung in Ihrer Kasse?
Stamm: Vor der Herabsetzung des technischen Zinses gab es natürlich die Situation, vor allem in Jahren mit einer schlechten Performance (zum Beispiel 2008), dass die aktiven Versicherten fast keinen Zins auf ihr Alterskapital erhielten, während das Rentnerkapital entsprechend dem technischen Zins erhöht werden musste.
Walker: Wir sind uns den verschiedenen Umverteilungen bewusst und versuchen, unerwünschte Umverteilungen möglichst zu vermeiden.
Was hat der Stiftungsrat bisher unternommen, um die Umverteilung einzudämmen?
Stamm: Wir haben schon früh begonnen, den technischen Zins zu senken und somit die Sollrendite erheblich reduziert. Damit hat der Stiftungsrat die Möglichkeit, bei einer guten Rendite der Anlagen wie zum Beispiel im Jahr 2017, die Alterskapitalien der aktiven Versicherten angemessen zu verzinsen, um so die Umverteilung zu minimieren. Ich persönlich bin kein Freund der immer kurzfristigeren Anpassungen und Änderungen der Parameter in der Altersvorsorge.
Walker: Wie gesagt wird das Thema bei comPlan in regelmässigen Abständen thematisiert. Wir erstellen dazu auch jedes Jahr eine technische Gewinn- und Verlustanalyse durch den PK-Experten, damit die Pensionierungsverluste und andere Umverteilungen auch in effektiven finanziellen Zahlen konkretisiert werden.